Vergleichende literarische Erörterung: „Der Steppenwolf“ und „Der goldne Topf“

Zeitgeschichte

Was trennt den „Steppenwolf“ historisch von „Der goldne Topf“?

  • Verbindendes: Beide Texte greifen zeitgeschichtliche Umstände auf, bilden ihre jeweilige Gesellschaft ab und greifen die Diskurse ihrer Zeit auf, ohne historiographisch exakt sein zu wollen.
  • Der Steppenwolf“ (1927): Harry Haller bewegt sich in einer Welt der Moderne, die in vielfacher Hinsicht in Krisen geraten ist: sozial, weil die Industrialisierung eine neue Unterschicht geschaffen hat, die ihre Rechte einfordert; gesellschaftlich, weil der Wertekanon des Bürgertums unter dem Ansturm verschiedener Ideen zersplittert (fernöstliche Philosophie, Reformbewegung) und Frauen ihre Position in der Gesellschaft selbstbewusster bestimmen (Frauenbewegung); auch die Urbanisierung mit der im „Steppenwolf“ wahrnehmbaren Anonymität der Städte gehört hierher; politisch, weil unter dem Eindruck des Ersten Weltkriegs die Gräben zwischen Sozialismus und Pazifismus und Nationalismus und Militarismus immer breiter werden; psychologisch, durch den Aufstieg der Psychoanalyse Freuds und der Archetypenlehre C. G. Jungs; kulturell, durch die Ablösung elitärer Kunstkonzepte (Klassizismus, Historismus) durch neue Strömungen, die internationale Entwicklungen aufgreifen (Jazz) und popularisieren (Kino).
  • Der goldne Topf“ (1814): Krisen verzeichnet auch E. T. A. Hoffmanns Erzählung – aber es sind nicht die weltpolitischen Entscheidungen, die der „Topf“ aufnimmt (etwa Napoleon), sondern subtilere Entwicklungen – der Aufstieg des Gelegenheitsdichter zum Schriftsteller, der gleichwohl oft Nebenberufler bleibt; Erkenntnisse über die Nachtseite der menschlichen Seele in der Romantik und Kritik am Rationalismus; Zweifel am christlichen Tugendkanon und am preußischen Ethos der Pflicht. Dennoch: Im Vergleich zum „Steppenwolf“ treffen wir im „Goldnen Topf“ auf das Bild einer ständisch gegliederten und besonders in Preußen hierarchische Gesellschaft, in der die städtische Unterschicht noch kaum vorkommt. Frauen werden noch weitgehend als passive Begleiter des Mannes gesehen, denen kaum eigenständige Interessen zugeschrieben werden. Eine soziale Gegenwelt zum Bürgertum gibt es kaum, bestenfalls die Exotik der Zigeuner oder die Fremde Italiens.

Realitätskonzepte

Inwiefern unterscheiden sich die Realitätskonzepte des „Steppenwolf“ und in E. T. A. Hoffmanns „Der goldne Topf“?

  • Verbindendes: In beiden Werken verschränkt sich die äußere Realität des Erzählers mit der inneren Realität der Figuren – und es lässt sich nicht unterscheiden, ob phantastische Elemente nicht der bloßen Einbildung der Figuren geschuldet sind. In beiden Werken ist im Erzählgang angelegt, dass sich irreale Elemente auch durch Wahnsinn oder Rausch erklären lassen (Hallers Initiation zum „Magischen Theater“, das Punscherlebnis aus dem „Topf“).
  • Der Steppenwolf“: Im „Steppenwolf“ erfährt der Leser im Rahmen einer überaus realistisch anmutenden und vielfach beglaubigten Herausgeberfiktion, wer der „Steppenwolf“ ist. Der Neffe seiner Vermieterin ist ein Ich-Erzähler erster Ordnung, der als Vertreter bürgerlicher Wohlanständigkeit und aufgrund seiner Distanz zum „Steppenwolf“ glaubwürdig erscheint. Harry Haller ist ein Ich-Erzähler zweiter Ordnung, dessen „Aufzeichnungen“ ihrerseits irreale Elemente enthalten, deren Bezüge zur Wirklichkeit seiner Umgebung fragwürdig bleiben – schon deshalb darf man ihn als unzuverlässigen Erzähler bezeichnen. Es wird beispielsweise nicht deutlich, ob Haller irgendetwas von dem, was er in den „Aufzeichnungen“ schildert, selbst erlebt haben will. Beispiele sind der Goethe-Traum und das „Magische Theater“, aber auch die zum „Magischen Theater“ hinführenden Vorausdeutungen. Auch das „Tractat“ ist fragwürdig, da wir nicht entscheiden können, ob es in der erzählten Welt real ist oder nur Hallers dichterischer Phantasie entspringt. Verdächtig ist, wie genau es Hallers Innenwelt spiegelt. Auch das „Magische Theater“ ist surreal. Durch die Einführung als Opiumvision gekennzeichnet, führt es dem Leser die Dimensionen von Hallers Innenleben vor.
  • Der goldne Topf“: Auch E. T. A. Hoffmanns „Der goldne Topf“ ist recht kompliziert, was die Wirklichkeit der Handlung angeht. Das wird schon an der Kennzeichnung als „Wirklichkeitsmärchen“ deutlich. Märchen enthalten magische Elemente und in einer kaum näher bestimmbaren Anderswelt. Der Erzähler im „Topf“ jedoch ist Zeitgenosse E. T. A. Hoffmanns im historischen Dresden. Er beschreibt als auktorialer Erzähler Anselmus und seinen Kreis, wiederum als Zeitgenossen. Unter dem Einfluss von Düften, Rauschmitteln und psychischen Ausnahmezuständen erleben Anselmus und seine Kontaktfiguren die Welt des Magischen, die in ihre Wirklichkeit hineinwirkt – ihre Realität erkennt jedoch nur der begabte Außenseiter Anselmus. Am Ende verlassen Anselmus und seine magische Geliebte Serpentina die Wirklichkeit, um in der poetischen Utopie von Atlantis in Liebe und Einklang zu existieren. Dies erfährt der Erzähler von Archivarius Lindhorst. Die wahre Bedeutung dieser dichterischen Utopie enthüllt der Erzähler mit dem Hinweis, auch der Leser könne sich Heimrecht in Atlantis erwerben.

Gesellschaftskritik

Inwiefern sind „Der Steppenwolf“ und „Der goldne Topf“ zeit- oder gesellschaftskritisch?

  • Verbindendes: Beide Werke wenden sich gegen die gedankenlose Anwendung bürgerlicher Regeln, gegen Materialismus und Konvention. Ihr Ziel ist die Aufwertung des Seins gegen das Haben, des Innerlichen gegenüber den Äußerlichkeiten des gesellschaftlichen Verkehrs.
  • Der Steppenwolf“: Der „Steppenwolf“ bietet zahlreiche Ansätze für Kritik am Zeitgeschehen– am Wesen des Bürgers, an der Massenkultur des industriellen Zeitalters, an der Trivialität der Populärkultur, an Materialismus und Kriegstreiberei. Darüber hinaus darf man nicht vergessen, dass Harry Haller als Sprecher des „Steppenwolf“ auch Selbstkritisches vorbringt: Kritik am hohlen Pathos seines Außenseitertums, an den verbleibenden Resten bürgerlichen Denkens. Wie die Satire das Ideal voraussetzt, so schafft der „Steppenwolf“ einer geistigen Gegenwelt zur Bürgerwelt – verkörpert durch die Unsterblichen. An die Stelle von Diesseitsverhaftung tritt die Distanz des olympischen Humors.
  • Der goldne Topf“: E. T. A. Hoffmanns Text wendet sich ähnlich wie der „Steppenwolf“ gegen die selbstzufriedene Biederkeit des Bürgers, gegen die Philosophie des Mittelmaßes. Auch in seiner Kritik an Sicherheitsdenken und Materialismus (verkörpert insbesondere durch Veronika) stimmen die Vergleichswerke überein. Zeitgemäß sind die satirischen Seitenhiebe, die der Erzähler im „Topf“ gegen Studentengaudi und Quacksalberei vorbringt – sie fehlen im „Steppenwolf“. Auch die Kritik an weiblicher Versorgungsmentalität findet sich im „Steppenwolf“ nicht. Maria und Hermine sind allerdings – wie Pablo auch – Figuren des Nachtlebens und gehören zu einer Welt außerhalb bürgerlicher Werte. Die Verachtung des Poetischen und der Lektüre, vorgetragen von bürgerlichen Figuren, ist ebenso als Kritik an der Begrenztheit bürgerlichen Denkens zu sehen: Die Idealwelt von Atlantis steht dem Außenseiter offen, während die Bürger in der lediglich zufriedenstellenden Wirklichkeit Dresdens verbleiben.

Entwicklung der Hauptfiguren

Welche Entwicklung nehmen Anselmus und Harry Haller im Handlungsgang?

  • Verbindendes: Beiden Figuren setzt eine Krise zu, beide Figuren überwinden die Krise und gelangen zum Ziel ihrer jeweiligen Entwicklung.
  • Der Steppenwolf“: Im „Steppenwolf“ wird Entwicklung (wie auch im „Topf“) von ihrem Ziel her verständlich. Was soll Harry Haller lernen? Zum einen Humor, weil er Abstand schafft zur Welt und zu den eigenen Konflikten – zum anderen Akzeptanz: Akzeptanz seiner Triebe und seiner verschiedenen Persönlichkeitsanteile. Zu Beginn der Handlung ist Harry Haller in vielerlei Hinsicht in der Krise: Ein Verstoßener, der Frau und Nation eingebüßt hat, der das Gegeneinander von bürgerlicher Moral und Triebnatur erleidet, der den Antagonismus moderner Massenkultur mit den Werten der Klassik spürt, den es zwischen Ewigkeit und Vergänglichkeit schier zerreißt. Als Helfer seiner Entwicklung fungieren die Wesen des „Magischen Theaters“, gleichsam Seelenführer Harry Hallers.
  • Der goldne Topf“: Anders als im „Steppenwolf“ bleibt die innere Entwicklung des Protagonisten im Hintergrund, was vor allem am Erzählverhalten liegt. Der auktoriale Erzähler hält meist Distanz zu Anselmus, dieser spricht sich nicht wie Harry Haller selbst über seinen Zustand aus und bleibt ein Spielball magischer Mächte. Dennoch lohnt sich die Betrachtung vom Schluss her: Anselmus entscheidet sich zuletzt bewusst gegen Veronika und das Hofratswesen und für die Poesie und Serpentina: „Aber geduldig ertrage ich alles, denn nur hier kann ich sein, wo die holde Serpentina mich mit Liebe und Trost umfängt“. Er wird mit der Hand Serafinas und ewiger Glückseligkeit belohnt. Bevor es dazu kommt, muss Anselmus im typischen Erzählmuster des Märchens einige Prüfungen bestehen, die ihm die Verführungskraft der Rauerin aufnötigt. Der linkische, selbstunsichere Außenseiter vergibt unter dem Einfluss des Archivarius alle Möglichkeiten zum gesellschaftlichen Aufstieg, die sich immer wieder andeuten, ehe er zuletzt eine Entscheidung zugunsten der Poesie trifft.

Biographie

Inwiefern enthalten der „Der goldne Topf“ und der „Steppenwolf“ Spuren ihrer jeweiligen Autoren?

  • Verbindendes: Beide Werke enthalten Autobiographisches, das für die Lektüre aber unerheblich bleibt.
  • Der Steppenwolf“: Es gibt zahlreiche Hinweise im Briefverkehr Hesses, die den „Steppenwolf“ mit autobiographischen Bezügen aufladen. Harry Haller ist insofern Hermann Hesse, als die Schauplätze, Ereignisse und Charaktere des Romans Hesses Biographie spiegeln: von Initialen über Bezüge zu C. G. Jung, von Details wie der Araukarie im Haus von Hesses Basler Wohnung bis zu Hesses Tanzversuchen – was Harry Haller angeht, ist er bis in Einzelheiten ein Alter Ego seines Autors. Es wäre nun aber grundfalsch, im „Steppenwolf“ ein Dokument für Hesses Befindlichkeit sehen zu wollen. Das nimmt dem Text jegliche Relevanz für den Leser: Wer Hesse im Steppenwolf sucht, wird ihn überall finden, die Frage ist jedoch, ob man ihn überall suchen sollte. Der „Steppenwolf“ ist kein Tagebuch eines Erfolgsautors mit melancholischen Anwandlungen, sondern die Allegorie einer Krise der Seele im Zeitalter der Moderne, stellvertretend an Harry Haller durchgeführt.
  • Der goldne Topf“: Dass auch der „Topf“ Spuren der Lebensgeschichte E. T. A. Hoffmanns trägt, ist nicht zu leugnen. Die Reihe der Bezüge reicht vom Motiv der blauen Augen Serpentinas (man denke an Hoffmanns Bamberger Erfahrungen) bis zum historischen Dresden zur Zeit Napoleons. Auch Hoffmann bewegt sich lebenslang im Spannungsfeld zwischen bürgerlicher Existenz und poetischer Absolutheit. Selbst die Charakterzeichnungen des zuweilen hektischen, künstlerisch begabten und unterhaltsamen Anselmus lehnt sich ans Psychogramm Hoffmanns an, wie wir es aus Schilderungen der Zeitgenossen kennen. Aber auch hier ist fraglich, ob es sich lohnt, solche Verweise aufzudecken. Den „artigen Meierhof“ der Poesie (12. Vigilie) soll ja geradezu jeder finden, der sich zu sehr im bürgerlichen Diesseits verstrickt.

Genre

Inwiefern unterscheiden sich der „Steppenwolf“ und „Der goldne Topf“ im Hinblick auf ihre poetische Struktur?

  • Verbindendes: Beide Texte sind komplexe Mischungen unterschiedlicher Genres, lassen sich nicht eindeutig zuordnen.
  • Der Steppenwolf“: Der Steppenwolf ist ein typischer Roman der Moderne, der in seiner psychologischen Intensität Züge des Entwicklungsromans und einer Bekenntnisschrift aufweist. Er zeigt dem Leser: Es ist möglich, die moderne Zersplitterung der Seele aufzuheben. Er ist dabei durchaus realistisch, die phantastischen Elemente sind Hesses Absicht geschuldet, die Entwicklung Harry Hallers als Therapie zu zeigen – der Steppenwolf ist ein Sinnbild (oder besser: ein Archetyp) des natürlichen Lebens im Einklang mit den Grundbedürfnissen. Er dient als Gegenentwurf zur Verformung des Menschen durch die Zivilisation mit ihren Verboten und der Forderung nach Entsagung. Dabei hat der Roman drei Ebenen: Das „Vorwort des Herausgebers“ macht deutlich, dass die geschilderten Ereignisse aus dem Leben Hallers für authentisch zu halten sind. Die „Aufzeichnungen“ bieten ein Psychogramm, das der Leser miterlebt und mit den entworfenen Bildern therapeutisch auf sich selbst anwendet. Den theoretischen Unterbau dazu liefert schließlich das „Tractat“ als Schlüssel zur Lektüre. Die Ereignisse im Roman sind insofern wichtig, als sie Anstöße zur Heilung Harry Hallers bieten. So ist die geringe Tiefenzeichnung der anderen Figuren leicht zu verstehen – sie sind reine Helferfiguren ohne eigene Identität.
  • Der goldne Topf“: Anders als der „Steppenwolf“ trägt „Der goldene Topf“ Züge des Märchenhaften. Hoffmann sagt deutlich: Erlösung ist möglich in der Poesie, wenngleich wir (wie der Erzähler) nicht einfach austreten können aus unserem bürgerlichen Leben. Die dichterische Gegenwelt kann jeder bewohnen. Das Ziel der Handlung ist die Befreiung des Protagonisten von der Verhaftung ans Bürgerliche. Deswegen folgt „Der goldne Topf“ dem Erlösungs- und Aufgabenschema des Märchens mit seiner Symbolwelt. Wie im Märchen ringen entgegengesetzte Kräfte um den Protagonisten: Gegner gefährden die Erlösung, Helfer ermöglichen sie. In seinem „Wirklichkeitsmärchen“ verwebt Hoffmann zahlreiche Textmuster der zeitgenössischen Literatur. Dazu gehört das Changieren zwischen Melancholie und Enthusiasmus, das man aus der romantische Novelle kennt oder das ironische Spiel mit Perspektivwechseln, das typisch für Hoffmann ist, aber auch bei Tieck, Chamisso und Friedrich de la Motte-Fouqué vorkommt. Die Textsortenmischung sprengt die Gattungsgrenzen des Kunstmärchens, beispielsweise die damals populäre Bildbeschreibung oder Ekphrasis (man denke an Veronikas Zauberritus am Kreuzweg).

Leiden und Heilung

Inwiefern lässt sich die Entwicklung der Protagonisten als Heilung begreifen?

  • Verbindendes: Beide Figuren müssen im Verlauf der Handlung leiden. Bei beiden Figuren ist das Leiden in ihrer Persönlichkeit angelegt und wird durch den Konflikt mit der Außenwelt verstärkt. Beide Figuren äußert sich seelisches Leid auch in körperlichen Symptomen. Auch die abschließende Heilung beider Figuren ist im Werk angelegt.
  • Der Steppenwolf“: Harry Hallers Leiden ergibt sich zum einen aus seiner Vergangenheit: Als Ausgestoßener und Verfemter leidet er unter seiner Isolation. Zum anderen leidet er unter dem Eindruck einer verfehlten Erziehung, einer unwiederbringlich verlorenen Kindheit und seiner schriftstellerischen Unproduktivität; auch sein Hadern mit der zeitgenössischen Kultur und der bürgerlichen Gesellschaft setzt ihm zu. Zudem ist Haller gichtkrank und melancholisch. Der Hauptgrund für sein Leiden ist jedoch ein innerer Konflikt: das Gegeneinander von Steppenwolf und Harry Haller, von Wolfswesen (Natur, Rausch und Lebensbejahung) und Menschennatur (Kultur, Mäßigung und Triebverzicht). Es überrascht daher kaum, dass Haller einen Suizid in Erwägung zieht. Seine Heilung, bewerkstelligt im „Magischen Theater“, ermöglicht ihm die Akzeptanz seiner in zahlreiche Aspekte aufgespaltenen Persönlichkeit. Mit dem Humor erwirbt er zuletzt die Fähigkeit, sich zu lösen – von sich selbst, aber auch von der Welt. Zuletzt kann Haller dem Diesseits also geheilt gegenübertreten.
  • Der goldne Topf“: Ähnlich wie Haller ist Anselmus ein Getriebener, ein Außenseiter. Er leidet unter seiner Unfertigkeit im Gesellschaftlichen, unter einer im Alltag nie zu befriedigenden Sehnsucht. Er reagiert mit besonderer Heftigkeit gegen den Blick der Arrivierten, der Bürgerlichen. Anders als Haller wird er zum Spielball magischer Mächte, die seinen inneren Konflikt nach außen verlagern: Archivarius Lindhorst zieht ihn auf die Seite der Absolutheit hinüber, ins Reich der Poesie – die Rauerin hält dagegen und sucht ihn im bürgerlichen Alltag festzubinden. Dass er sich zuletzt für Serpentina und die von ihr verkörperte Welt der Ideen, des Poetischen, der Phantasie entscheidet, ermöglicht ihm den Austritt aus einer Welt, in der ihm seine Mängel nur allzu bewusst sind. Ob man von einer Heilung sprechen kann, ist fraglich: Anselmus kehrt nicht gesundet zurück, um der Welt nun anders zu begegnen, er hat sich gänzlich aus der Wirklichkeit zurückgezogen.

Frauenfiguren

Inwieweit tragen Beziehungen der Protagonisten zu Frauen zur Handlungsentwicklung bei?

  • Verbindendes: In beiden Werken werden männliche Hauptfiguren von weiblichen Nebenfiguren unterstützt. Diese sind sowohl im „Steppenwolf“ als auch im „Goldnen Topf“ Ziele und Projektionen männlichen Begehrens.
  • Der Steppenwolf“: Im „Steppenwolf“ sind besonders zwei Frauen wichtig: zum einen die knabenhafte Hermine, die Harry Haller als dessen geschwisterliche Seelenführerin und dominante Lehrerin aus seiner Krise herauslöst, die ihm Leichtigkeit beibringt und sein Begehren weckt; und die mütterliche Maria, die ihm als Werkzeug Hermines sein sinnliches Begehren erfüllt. Hermine konfrontiert Haller schon beim ersten Treffen mit der Hohlheit seiner Phrasen, mit seinen Ängsten und Unzulänglichkeiten – später verweist sie ihn auf die Bedeutung der Unsterblichen und der Ewigkeit. Als Haller im „Magischen Theater“ eine Spiegelung Hermines ersticht, verrät er seine Unfähigkeit zur Distanz, seine Humorlosigkeit.
  • Der goldne Topf“: Anselmus steht, anders als Haller, zwischen zwei Frauen, die unterschiedlichen Prinzipien zugeordnet sind. Das ist zum einen Veronika, die Tochter von Anselmus’ Freund Paulmann, die ihn im Pakt mit der Rauerin zum Dasein eines Bürgers verführen will. Ihr steht die schlangenhafte Sirene Serpentina gegenüber, die Tochter des Archivarius Lindhorst. Die vollkommene Serpentina betört und inspiriert Anselmus, mit ihrer Hilfe vollbringt er kühne Leistungen und findet schließlich den Weg nach Atlantis, ins Reich absoluten Künstlertums.