Sprechen, Rezitieren, Vorlesen: Zu Technik

Schauspieltechnik: Sprechen

Allgemeines

  • Grundlage der sprecherischen Ausbildung sind Stimmbildung und die Arbeit an der Atemtechnik.
  • Sei dir dessen bewusst, dass Sprechen auch ein körperlicher Vorgang ist – dein ganzer Leib sollte gestisch und mimisch mitsprechen!
  • Artikulation ist abhängig von den Artikulationsorganen. Achte darauf, was mit Zunge, Lippen und Kehle geschieht, wenn du sprichst!
  • Sprechen ist textabhängig: Wie die Noten dem Musiker sein Stück vorgeben, ist der Text die Grundlage dessen, was du hörbar machst!
  • Das gilt für den Inhalt: Du steuerst die Bilder, die das Publikum sieht!
  • Das gilt aber auch für den Klang: Stilmittel, Reim und Rhythmus wirken durch dich!
  • Jedes Lesen ist Interpretation: Weil jeder Mensch den Text anders deutet, wird er beim Vortrag anders zu hören sein!
  • Auch der Raum spricht mit – je nach der Atmosphäre, Besetzung und Architektur des Raums wirst du anders klingen!
  • Sprich so natürlich, wie es der Text zulässt – und so kunstvoll, wie es die Situation ermöglicht!

Technisches

Beim Vorbereiten des Texts arbeitest du mit Sprechzeichen:

  • II = Atempause
  • I = Staupasse, Zäsur
  • Das ist die Hauptbetonung.
  • Das ist die Nebenbetonung.
  • ↑ = steigende Kadenz
  • → = schwebende Kadenz
  • ↓ = fallende Kadenz

Einzelne Hinweise

Betonung: Setzen von Akzenten

  • Die Betonung des Einzelworts hängt vom Satz ab, und wie dieser zu sprechen ist, legt der Gesamttext fest.
  • Betone im einfachen Satz nur ein Wort pro Aussage, sonst verschwimmt die Bedeutung!
  • Wörter, die Texten Struktur verleihen („Erstens… , zweitens…“) sollte man betonen.
  • Variiere den Satzakzent – und überlege dir, welches Wort du in der Wortgruppe betonst!
  • Überlege dir außerdem, welches Gewicht du dem Einzelwort im ganzen Satz zukommen lässt!
  • In einer Aufzählung trägt das letzte Glied den Hauptton!
  • Was dem Publikum neu ist, wird betont!
  • Bindewörter und Verben werden selten, Hauptwörter dagegen oft betont!
  • Verneinungen werden nur betont, wenn sie erfragt werden oder auf den vorhergehenden Satz Bezug nehmen.
  • Bei Stilmitteln wie der Zwillingsformel („Katz und Maus“) sind beide Teile zu betonen. Ähnliches gilt für Aufzählungen und Vergleiche.
  • Schwachtonige Wörter sind auch am Satzende unbetont („Er stellt den Kübel im Flur bei der Küche ab“).

Stimmführung und Modulation

  • Nutze die Variationsbreite der Stimmhöhe, achte auf Variation, besonders am Schluss der Aussage!
  • Setze fallende Kadenzen ein, wo du deiner Aussage besonderen Nachdruck verleihen möchtest, wo ein Sinnabschnitt endet und der Gedanke ausformuliert ist.
  • Sprich Aufzählungen, Einschübe und Wiederholungen mit schwebender Betonung!
  • Setze bei rhetorischen Fragen eine fallende Kadenz ein, bei echten Fragen eine steigende!

Lautstärke

  • Setze deine Lautstärke bewusst ein! Variiere!
  • Sprich bei Befehlen und Forderungen und um forsch zu klingen den Satzanfang laut!

Klangfarbe

  • Setze Klangfarben bewusst ein – du kannst heiser klingen oder zittrig, müde oder dumpf, skeptisch oder warm...!
  • Ironisch klingen wir, wenn wir bei der Aussprache übertreiben oder vor dem ironisch gemeinten Abschnitt eine Pause einschieben („Du bist ja ungeheuer --- fleißig“)

Tempo und Tondauer

  • Beginne langsam, steigern kannst du dich immer noch!
  • Sprich lange Silben auch wirklich lang!
  • Variiere das Tempo, sprich tendenziell aber langsamer als im Alltag!
  • Sprich Wichtiges langsamer und Unwesentliches schnell!
  • Wird eine langsame Handlung beschrieben, passe dein Tempo an und werde langsamer!

Pausen

  • Pausen entstehen nicht immer und nicht nur dort, wo Satzzeichen stehen!
  • Setze Atempausen bewusst ein! Ein Gedanke bildet einen Atembogen!
  • Je informativer ein Text ist, desto mehr Pausen brauchst du!
  • In gefühlsbetonten Texten solltest du großzügige Atembögen anlegen!
  • Mache am Versende eine kurze Pause, wenn du Verstexte vorträgst!
  • Verwende Staupausen, um Spannung aufzubauen! Die Stimme geht dann hoch!
  • Staupausen vor Wörtern betonen diese Wörter – vor komplizierten Wörtern und fremdsprachlichen Begriffen sind sie hilfreich, sollten aber kurz sein!
  • Vor wörtlicher Rede entsteht keine Pause!
  • Relativsätze sprichst du im selben Atembogen wie das Hauptwort, zu dem sie gehören!
  • Vermeide Füllsel!

Konsonanten

  • Sprich die Konsonanten bewusst – achte auf lautmalerische Effekte!
  • Das s im Anlaut ist stimmhaft!
  • Ein rollendes r klingt oft anschaulicher als ein Rachen-r!
  • Sprich das h zwischen Vokalen nicht aus!
  • Beachte, dass das g im Auslaut nach i wie „ich“ klingt: Kö-nich, ekl-ich…!
  • Entscheide dich für eine federnde Aussprache der Konsonanten oder für eine geklemmte, bei der du den Luftstrom unterbindest!
  • Sprich behauchte Konsonanten (wie das t am Wortanfang) auch wirklich behaucht!
  • Ergänze bei Konsonantenverbindungen einen (stimmlosen) Schwa-Laut, um deine Präzision zu erhöhen: p-rallen, p-lappern, zwöl-f…)
  • Setze die Lippen und den Mundvorhof bewusst als Schalltrichter ein, vermeide es, mit gespannten Lippen zu sprechen!
  • Beachte, dass „d“ und „b“ im Auslaut zu „t“ und „p“ werden!

Vokale

  • Öffne den Mund und schürze die Lippen, um Vokale präziser zu sprechen!
  • Nutze die Resonanzräume in Stirn und Nase, um klangliche Facetten zu erzeigen!

Silben

  • Meist ist die Stammsilbe betont, bei zusammengesetzten Wörtern das Bestimmungswort!
  • Verschlucke nicht die Anfangs- und Endsilben!
  • Der Konsonant, der die Endsilbe einleitet, sollte federnd gesprochen werden!
  • Beachte Silbengrenzen, insbesondere bei zusammengesetzten Wörtern! (Strom-Messer, nicht „Stroh-Messer“ oder „Strom-Esser“!)

Rhythmus

  • Vermeide unmotivierte Atempausen!
  • Nutze den Rhythmus des Texts, aber lass dich nicht zum Leiern verleiten!
  • Schaffe einen Wechsel gleichförmiger und unruhiger Bewegung!

Gefahren und Besonderheiten

  • Vergiss den Titel nicht! Nenne den Namen des Verfassers!
  • Stellungsfiguren wie Antithese und Chiasmus sollte man hören!
  • Informiere dich über die Aussprache von eingedeutschten Fremdwörtern!
  • Achte auf die richtige Aussprache von Personennamen, Marken und geographischen Namen!
  • Lautmalerische Wörter sprichst du am besten gar nicht, sondern erzeugst das jeweilige Geräusch!
  • Unterschiedliche Personen versuchst du sprecherisch zu charakterisieren!

Übungen

  • Variationen: Variiere Lautstärke, Stimmfarbe, Tempo und Tonhöhe beim Lesen eines Gedichts!
  • Stimmkraftübung: Setze deinen Körper in Bewegung! Ergänze jede Silbe mit einem Hieb oder Tritt!
  • Intonationsübung: Nimm dir einen Satz vor und lies ihn mehrfach – betone dabei jeweils ein Wort besonders!
  • Sprechzeichen: Suche dir einen Text heraus und interpretiere ihn mit Tempowechsel, Intonation, Pausen und Staupausen!
  • Fliegenjagd: Versuch das stimmhafte s möglichst lange auszuhalten und zu variieren, während du eine imaginäre Fliege verfolgst!
  • Satz mit s: Lies diesen Satz mit der korrekten Aussprache des s-Lauts: So sieh doch, die süße Susi saust im fließenden Wasser über die weißen Fliesen.
  • Immer nur ich? Sprich die Endsilbe „ig“ richtig aus: Wenn es knackt, wird’s knackig. / Der Knickrige macht sich nackig, / Dass der König knödele willig, / Findet die Königin billig.
  • Schwa-Laute: Lies diesen Text mit stummen Schwa-Lauten, um das Konsonantencluster aufzulösen: Die kleinen Pflaumen prasseln auf die Strecke; / Im Elfenfeuer knistern Zwetschgen in der Ecke.
  • Drei deutsche Laute und ein Buchstabe: r. Sprich folgenden Text mit rollendem R: Brauchbare Bierbrauerburschen brauen brausendes Braunbier. Drei bärtige Reiter reiten derweil rasend über riesige Berge und rollende Räder rasseln über runde Steine.
  • Tonlänge und Rhythmus: Sprich Goethes „Meeres Stille“ betont ruhig, verweile auf den Langvokalen: Tiefe Stille herrscht im Wasser, / Ohne Regung ruht das Meer, / Und bekümmert sieht der Schiffer / Glatte Fläche ringsumher. / Keine Luft von keiner Seite! /Todesstille fürchterlich! / In der ungeheuern Weite / Reget keine Welle sich.
  • Vom richtigen Umgang mit dem h: Lies den folgenden Text mit stummem h: Wir sehen, wenn wir gehen, / Die Lohe hoch entstehen. / Wenn hohe Winde wehen.
  • Zauber der Lautmalerei: Lies folgenden Text von Clemens Brentano so, dass die Lautmalereien hörbar werden. Nutze auch die Resonanzräume der Nase: Singt ein Lied so süß gelinde, / Wie die Quellen auf den Kieseln, / Wie die Bienen um die Linde / Summen, murmeln, flüstern, rieseln.
  • Akzent: Höre dir einen Sprecher mit Akzent oder im Dialekt an – versuche die Aussprache besonders genau zu treffen!

Bibliographie

  • Schürmann, Uwe: Vortragen und vorlesen leicht gemacht. München: Reinhardt, 2010
  • Puffer, Heidi: ABC des Sprechens. Grundlagen, Methoden, Übungen. Leipzig: Henschel, 2010
  • Rossié, Michael: Texte präsentieren in Radio, Fernsehen und vor Publikum. Berlin: Ullstein, 2007 [Econ: Journalistische Praxis], 4. Aufl.
  • Ehrlich, Karoline: Stimmbildung und Sprecherziehung: Ein Lehr- und Übungsbuch. Köln (u.a.): Böhlau, 2011 [UTB; 3488. Sprachwissenschaft, Phonologie / Phonetik]
  • Aderhold, Egon: Sprecherziehung des Schauspielers: Grundlagen und Methoden. Berlin: Henschel, 1998, 5. Aufl.
  • Pabst-Weinschenk, Marita (Hrsg.): Grundlagen der Sprechwissenschaft und Sprecherziehung. - München: Reinhardt, 2011
  • Ritter, Hans Martin: Sprechen auf der Bühne: Ein Lehr- und Arbeitsbuch. Leipzig: Henschel, 2009, 2. Aufl.
  • Schulz, Verena: Auf ein Wort: Vortragskunst in Antike und Gegenwart. Stuttgart: Akademie für gesprochenes Wort, 2017
  • Müller, Lothar: Die zweite Stimme: Vortragskunst von Goethe bis Kafka. Berlin: Wagenbach, 2007