Sprache und Inklusion

Wo Menschen mit und ohne Behinderung gemeinsam lernen, bedarf es sprachlicher Normen und besonderer Sensibilität. Aber auch an Schulen, wo Inklusion noch nicht praktiziert wird, muss über das Verhältnis von Sprache und Behinderung gesprochen werden. Sprache prägt unsere Wahrnehmung: Wir können Defizite in den Vordergrund stellen oder Stärken. Wir können stigmatisieren und diskriminieren oder Gemeinsamkeiten und Vielfalt betonen. Aber wir alle profitieren davon, wenn wir mit individuellen Unterschieden sachlich, offen und wertschätzend umgehen, damit wir uns wechselseitig fördern und nicht behindern. Im Folgenden werden Beispiele diskriminierenden Sprachgebrauchs vorgestellt. Die Erläuterungen dazu enthaltend oft wertneutrale Begriffe, die sich stattdessen verwenden lassen.

Beispielliste

Bist du behindert, oder was? – Dieser Sprachgebrauch ist ohne Wenn und Aber beleidigend. Aber nicht nur das: Zum einen sind Mensch mit einer Behinderung nie allein und ausschließlich „behindert“, sondern haben so viele Eigenschaften wie andere auch; zum anderen werden sie auch oft genug behindert – durch eine Umgebung, die nicht barrierefrei ist. Wer betont, jemand sei behindert, lenkt von den Umständen des Behindertwerdens ab.

Sie ist blind und lebt seit ihrer Geburt in vollkommener Finsternis. --- Woher wissen Sehende eigentlich, wie eine blinde Person ihre Umgebung wahrnimmt? Für viele blinde Menschen ist ihre Umgebung nicht von vorneherein eine bedrohliche „Finsternis“, sondern ihr selbstverständliches Lebensumfeld.

Sie ist ein Mensch mit besonderen Bedürfnissen. --- Diese Umschreibung ist vielleicht nett gemeint, aber dennoch diskriminierend. Die Beschönigung transportiert Ängste vor einem sachlichen und würdigen Umgang mit dem Begriff der Behinderung. Außerdem haben Menschen mit einer Behinderung Anspruch auf eine barrierefreie Umgebung und einen diskriminierungsfreien Umgang. Dieser Anspruch ist nicht ihr „Bedürfnis“, sondern ihr gutes Recht.

In unserer Schule gibt es keine Behinderten. --- Vielleicht gibt es an dieser Schule keine Menschen mit einer Behinderung; problematisch ist zum einen, dass nicht jede Behinderung sofort auffällt, zum anderen, dass Menschen nicht auf die Eigenschaft reduziert werden sollten, eine Behinderung zu haben.

Er ist an den Rollstuhl gefesselt. --- Für viele Menschen, die einen Rollstuhl verwenden, bedeutet er Mobilität und erleichtert das

Der Aufzug am Bahnhof ist für Behinderte besonders wichtig. --- Der Aufzug ist wichtig für eine ganze Reihe von Personen; auch hier gilt: Menschen leben mit einer Behinderung, werden aber auch von der Gesellschaft eingeschränkt – zum Beispiel dann, wenn Barrieren nicht beseitigt werden.

Er ist taub. --- Er ist nicht „taub“, sondern gehörlos. Der Begriff „taub“ ist vorbelastet, wertend und oft negativ gemeint („taube Nuss“, „taubes Gefühl“).

Bei uns an der Grundschule gab es eine Lilliputanerin. --- Der Begriff aus Jonathan Swifts Satire „Gulliver’s Travels“ wird für kleinwüchsige Menschen nicht mehr verwendet.

Obwohl er im zwergwüchsig ist, ist er ein guter Sportler. --- Zum einen ist der gemeinte Sportler kleinwüchsig und nicht „zwergwüchsig“; zum anderen ist er einfach mit seiner Behinderung ein hervorragender Athlet, nicht „trotz“ seiner Behinderung.

Sie leidet an Autismus. --- Autisten und Autistinnen würden nicht von sich behaupten, an ihrem Autismus zu „leiden“. Für sie ist ihr Autismus ein Wesensmerkmal und ein Teil ihres Lebens, der ihren Alltag prägt. Viele lehnen daher auch den Begriff „Mensch mit Autismus“ für sich ab.

Er muss sein Leben im Rollstuhl fristen. --- Auch hier gilt: Der Rollstuhl ist ein nützliches Gerät, um den Raum zu erweitern, in dem man sich bewegt. Er bedeutet in erster Linie eine Erleichterung. Außerdem: Menschen, die einen Rollstuhl verwenden, sitzen auch auf dem Sofa, schwimmen oder laufen mit Gehhilfen – sie „fristen ihr Leben“ nicht „im Rollstuhl“.

Sie ist in einem gelähmten Körper gefangen. --- Der Begriff „gefangen“ ist eine unnötige Dramatisierung. Körper und Ich lassen sich nicht trennen. Jeder Mensch lebt mit seinem Körper, wie er eben ist. Das gilt auch für Menschen, die in ihrer Beweglichkeit aufgrund ihrer Behinderung eingeschränkt sind.

Er ist mongoloid. --- Der Begriff ist rassistisch und diskriminierend. Häufig werden Menschen mit Down-Syndrom auch verniedlicht: Wer ein Downsyndrom hat oder Trisomie 21, ist kein „Mongölchen“ und kein „Downie“, kein „Sonnenschein“ oder ein „Glückskind“, sondern ein Mensch mit guten und schlechten Wesensmerkmalen.

Er hat einen Gendefekt. --- Eine Konzentration auf das vermeintlich Defekte oder Untaugliche sollte vermieden werden. Eine genetisch bedingte Behinderung ist kein „Defekt“, sondern ein Umstand, mit dem man lebt.

Er ist trotz seiner Behinderung ein erfolgreicher Arzt. --- Warum sollte ein Mensch mit einer Behinderung nicht Arzt, Journalistin oder Lehrkraft sein? Eine Einschränkung in einer bestimmten Hinsicht erzeugt ja keine allgemeine Unfähigkeit zu allem anderen!

Sie ist gehandicapt. --- Schon sprachlich ist der Begriff unschön. Er ist der Versuch, den Begriff „Behinderung“ zu vermeiden und lenkt dadurch die Aufmerksamkeit erst recht auf diesen Lebensumstand.

Früher gab es viel mehr Krüppel als heute. --- Der Begriff „Krüppel“ war früher üblich, wie viele andere Begriffe, die wir heute ganz selbstverständlich nicht mehr verwenden („Verwachsene“, „Schwachsinnige“, „Geistesschwache“).

Er ist nach einem Schicksalsschlag zum Pflegefall geworden. --- Mit der Emotionalisierung eines Unfalls als „Schicksalsschlag“ soll Mitleid zum Ausdruck gebracht werden. Das ist unnötig und setzt den Menschen herab, der sich vielleicht mit seinen Lebensumständen bereits arrangiert hat. Außerdem bleibt er Mensch und wird nicht zum „Fall“.

Pass auf, du Spast! --- Menschen mit Cerebralparese leben mit ihren Einschränkungen wie andere Menschen auch. Der Begriff „Spastiker“ reduziert sie im Wesen auf die sichtbaren Zeichen ihrer Einschränkung. Der Begriff „Spast“ ist überdies ein jugendsprachliches Schimpfwort.

Er ist zwar taubstumm, kann sich aber durch Zeichensprache verständigen. --- Gehörlose Menschen sind nicht „taubstumm“, viele verständigen sich hervorragend auch in der Lautsprache und sind durch Empathie und Lippenlesen ebenbürtige Gesprächspartner. Ergänzend oder als alternative Kommunikationsform verwenden viele von ihnen die Gebärdensprache, keine „Zeichensprache“.

Vorsicht, dahinten kommt noch ein Rollstuhl! --- Menschen sollten nicht auf ihr Hilfsmittel reduziert und damit gleichgesetzt werden.

An der Schule am Jakobsweg gibt es auch normale Schüler. --- Normal (oder eben nicht normal) sind wir alle. Es gibt keine bestimmte Norm, wie Menschen zu sein haben. Vielleicht besuchen hier Schüler mit und ohne Behinderung dieselbe Schule, vielleicht werden behinderte und nichtbehinderte Schüler inklusiv unterrichtet.

Er ist infolge eines Sportunfalls invalide. --- Wer aufgrund eines Unfalls nicht mehr in derselben Form Sport treiben kann, ist noch lange nicht „invalide“ und kann einer anderen Beschäftigung oder mit einer Assistenz erfolgreich sein. Der Begriff „invalide“ ist entwertend: Er bedeutet „wertlos“.

Ihre Schwester hat eine Behinderung, aber sie ist gesund. --- Auch wer einen Rollstuhl verwendet oder Trisomie 21 hat, kann einen Schnupfen bekommen wie du und ich. Ansonsten sind wir alle gesund.

Er ist massiv sehgeschädigt. --- Wer eine Sehbeeinträchtigung hat, hat keinen „Schaden“. Wer den Begriff „geschädigt“ verwendet, unterstellt eine Schädigung – möglicherweise lebt der vermeintlich „Geschädigte“ aber schon immer oder sehr lange und vielleicht ganz gut mit seinen jeweiligen Fähigkeiten.

Sie meistert ihr Leben trotz ihrer Glasknochenkrankheit. --- Wer eine Behinderung hat, setzt seine Fähigkeiten wie jeder Mensch so ein, damit er sich im Leben gut zurechtfindet – es bedarf nicht des ständigen Hinweises auf die Behinderung. Zudem: Lebensbewältigung ist bei uns allen bewundernswert, wir alle „meistern“ unser Leben.

Er ist schwachsinnig. --- Wer mit einer geistigen Behinderung lebt, ist weder „schwachsinnig“, noch ein „Kretin“ oder „geistesschwach“. Diese Begriffe waren im 19. Jahrhundert üblich und werden heute als entwertend abgelehnt.

Links zum Umgang mit Sprache und Behinderung