Zum Spiel mit der Kamera

Das Spiel mit der Kamera ist für Schauspieler und Schauspielerinnen eine besondere Herausforderung, weil sie deren Ausdrucksmöglichkeiten einschränkt. Es ist nicht mehr die schauspielernde Person, die ihre Wirkung bestimmt, sondern die Kamera und die Postproduktion. Dabei gilt es einige Besonderheiten des Spiels mit der Kamera zu beachten.

Bedingungen des Spiels am Filmset und vor der Kamera

  • Die Kamera zeigt (im Gegensatz zum Auge) die physikalische Wirklichkeit der Umgebung. Was nahe an der Kamera ist, wirkt groß, was weiter weg ist, extrem groß. Der natürliche Blick rechnet sich die Gegenstände passend, die Kamera tut das nicht.
  • Der Blick der Kamera lässt kein peripheres Sehen zu. Gezeigt wird nur, was der Bildausschnitt (Frame) zulässt.
  • Der Zuschauer sieht damit nur, was die Kamera ihm offenbart. Er kann nicht wie im Theater den Blick auf der Bühne schweifen lassen.
  • Beim Film werden Geräusche oft erst in der Postproduktion ergänzt; die Gesamtwirkung des Films entsteht also erst nach den Aufnahmen.
  • Auf der Bühne kann man Fehler kaschieren oder überspielen; bei Filmaufnahmen wird unter Umständen wiederholt – je nach Regisseur.
  • Als Schauspieler bekommt man es besonders oft mit unsichtbaren Partnern und Gegenständen zu tun, die beim Dreh nicht anwesend sind oder erst im Nachhinein ergänzt werden (Green Screen, Animationen).

Grundregeln beim Spiel vor der Kamera

  • Versuch, die Kamera beim Spiel zu vergessen.
  • Sei dir bewusst, dass die Einstellungsgröße (der Abstand der Kamera zu dir) dein Handeln beeinflusst.
  • Je mehr gerade im Bild geschieht, desto größer muss deine Bewegung ausfallen.
  • Bewegst du dich wenig, achten die Zuschauer mehr auf den Dialog.
  • Grundsätzlich musst du dich im Film langsamer bewegen als auf der Bühne.
  • Was näher an der Linse bist, wirkt größer. Beim natürlichen Sehen rechnet unser Gehirn dieses optische Gesetz heraus.

Die Folgen der Kadrierung

  • Der Bildausschnitt: Bewegungen sollten im Bildrahmen bleiben.
  • Der Bildausschnitt 2: Es reicht nicht, wenn du nur die Bewegungen im Bildrahmen zeigst. Der ganze Körper muss mitarbeiten!

Spiel mit der Einstellungsgröße

  • Großaufnahme: Halte den Kopf ruhig, bleib aber locker. Versuche, durch gute Atemtechnik für Sicherheit zu sorgen.
  • Nahaufnahmen: Schnelle Bewegungen (Aufstehen, Tanz) verwischen leicht.
  • Detailaufnahme: Bewegungen müssen jetzt besonders langsam ausgeführt werden.

Zum Umgang mit Kamerabewegungen

  • Beim Schwenk fällst du leicht aus dem Bild. Außerdem kann der Schwenk zu einer veränderten Einstellungsgröße führen.
  • Beim Reißschwenk und beim Schuss-Gegenschuss-Verfahren solltest du einen Dialogbeitrag körperlich vorbereiten, bevor die Kamera bei dir ist.
  • Bei der Kamerafahrt solltest du gleichmäßig laufen. Es hilft, auf den Rhythmus der Schritte zu achten.
  • Bei der Parallelfahrt, die zwei Personen begleitet, müsst ihr regelmäßig im selben Abstand versetzt laufen. Ihr könnt schieben oder ziehen, indem ihr die Knie aufeinander bezieht (Geschäftspartner), indem ihr die Schultern auf einander ausrichtet (Kumpels), das Becken (Sexualpartner) oder die Handinnenflächen (Liebende).
  • Bei der Kreisfahrt solltest du deine Blickrichtung unter oder über den Kamerakreis legen – sonst schaust du in die Kamera.
  • Bei einer Ranfahrt reduzierst du erst die Gestik, dann den Oberkörper, darauf die Mimik und dann den Blick. Bei der Wegfahrt ist es umgekehrt.
  • Starke Emotionen sollten eher mimisch und stimmlich dargestellt werden als gestisch.

Beachten der Perspektive

  • Eine untersichtige Kamera kannst du durch das Bücken unterstützen.
  • Eine aufsichtige Kamera unterstützt du durch ein leichtes Zurückbiegen des Oberkörpers.
  • Blick
  • Halte beim Lesen die Lider offen, damit du nicht schläfrig wirkst. Halte dazu das Schriftstück weiter oben.
  • Beim Nachdenken solltest du ebenfalls nicht nach unten schauen. Stell dir vor, du schaust über einen Zaun oder eine Brüstung.
  • Blinzeln wirkt oft störend – man kann es sich aber abgewöhnen.

Mit Kameratechniken umgehen

Markierungen treffen

  • Beim Filmen des Ankommens kannst du einen Fuß bereits an die Markierung setzen und den zweiten nachziehen.
  • Eine andere Möglichkeit ist es, die Schritte abzuzählen.
  • Denkbar ist es auch, kurz vor der Ankunft an der Markierung einen privaten Moment zu nutzen, also hinabzusehen, als ob du nachdenkst.
  • Bei weiteren Einstellungen sind Markierungen nicht möglich. Suche dir dazu einen Anhaltspunkt im Raum.

Weitere Besonderheiten im Spiel mit der Kamera

  • Schuss-Gegenschuss: Dein Blick sollte dem Gegenstand (oder dem Partner) folgen, der im Gegenschuss zu sehen ist.
  • Blindheit spielen: Wenn du eine blinde Person spielst, kann es hilfreich sein, ihr aufs Ohr oder auf das Kinn zu sehen.
  • Blick über die Kameraachse, nach oben: Wenn du über die Kameraachse hinwegschaust, wirkst du, als ob du nachdenkst oder dich erinnerst.
  • Unter der Kameraachse, Blick zur Seite: Wenn du unter der Kameraachse bleibst, können deine Blicke nicht gelesen werden. Unter Umständen wirkst du müde.
  • Über die Kameraachse, nach links: Diese Blickrichtung eignet sich für Gedanken über Zukünftiges und Vergangenes.
  • Reaction Shot: Wenn die Kamera vom Geschehen zu dir schwenkt (oder wenn der Schnitt zu dir überleitet), solltest deine mimische Reaktion zurückhaltend ausfallen.
  • Im Off: Achte darauf, in Gesprächssequenzen den Partner auch anzuspielen, wenn du selbst nicht zu sehen bist. Im Off solltest du extreme Körperbewegungen und Geräusche vermeiden. Auch Schnittpausen solltest du beachten und der Person im On nicht das Wort abschneiden.
  • Over-Shoulder-Shot: Wenn die Kamera dir über die Schulter schaut, solltest du auf Drehungen des Kopfes verzichten – oder bei der Kamera nachfragen.
  • Blickkontakt: Richte dich, wenn du gefilmt wirst, immer auf das Auge deines Gegenübers aus, das näher an der Kamera ist.

Auf Continuity achten

Continuity ist der filmsprachliche Ausdruck für die Beherrschung von Übergängen. Wenn der Film glaubwürdig sein soll, muss in folgenden Bereichen auf Continuity geachtet werden:

  • Text: Gelingt der Übergang im Dialog, in der Off-Stimme? Ist die Wortstellung noch dieselbe wie gerade?
  • Gestik: Stimmt deine Körperhaltung noch?
  • Bewegung: Erfolgt die Bewegung so, dass sie filmlogisch in der nächsten Einstellung passt?
  • Standpunkt: Stehst du nach da, wo du eben standest? Kommst du mit demselben Bein an der Markierung an?
  • Kostüm: Sitzt das Kostüm noch so wie gerade eben? Hast du etwas anderes an?
  • Maske: Ist nichts verrutscht oder verschmiert?
  • Rhythmus: Wurde der Bewegungsrhythmus beibehalten?
  • Emotionen: Passt der Ausdruck zum zuletzt gezeigten?
  • Szene: Ist die Szenenabfolge richtig?

Übungen zum Spiel mit der Kamera

  • In the Scene: Schau in die Kamera, dann schau wieder weg. Wähend des Wegschauens änderst du deinen Ausdruck.Variante: Bedecke dein Gesicht mit einem Hut oder den Händen!
  • POV: Markiere, wo die Augen deines Gesprächspartners wären. Dann sprich deinen Text, während dein Partner seinen Text von der Seite einspricht. Konzentriere dich!
  • Continuity: Spiele dieselbe Handlung möglichst identisch dreimal. Filme dich dabei!
  • Blinzeln: Versuche eine Szene möglichst lange ohne Blinzeln zu spielen! Nimm dich dabei auf!

Bibliographie

  • Neukirchen, Dorothea: Vor der Kamera: Camera-Acting für Film und Fernsehen. Frankfurt am Main: Zweitausendeins, 2000
  • Carlson, Steve: Auf dem Set in Hollywood: Gebrauchsanweisung für Filmschauspieler. Frankfurt am Main: Zweitausendundeins, 2001
  • Barr, Tony: Acting for the Camera: Schauspielen für Film und Fernsehen: Techniken & praktische Tips für Anfänger und Profis. Köln: Emons, 2001
  • Dong-Sik, Nick: Camera Acting: Das Schauspiel-Training. Konstanz: UVK, 2015