Winnender Schulnamen
8.8.1978: Die beiden Winnender Gymnasien erhalten ihren Namen. Der Winnender Amtmann Mager hatte - mit Bezug auf §8 des Schulverwaltungsgesetzes - den damaligen Schulleiter des Progymnasiums, Oberstudiendirektor Rau zur Wahl eines Schulnamens aufgefordert. Inzwischen war das Bildungszentrum II gebaut worden, was eine Namenswahl unumgänglich machte. Fast drei Jahre wurde intern diskutiert, wie die namenlosen Gymnasien Winnendens nun heißen sollen - Gymnasium am Stöckach, Gymnasium unterm Haselstein, Martin-Luther-King-Gymnasium, oder doch (und das am liebsten) ein schwäbischer Prominenter? Schließlich gab der Gemeinderat bekannt: Lessing (ohne Vornamen) und Georg Büchner (mit Vornamen) sollen es sein. Lessing hat biographisch (ebenso wie Büchner) keinen Bezug zu Winnenden - aber Bildung soll ja auch nicht an der Scholle kleben, sondern nach den Sternen greifen. Die Charta des LGW macht deutlich, dass das Lessing-Gymnasium sein Patronat durchaus ernst nimmt: Man lebt eine freundliche Entspanntheit, die bei aller Zielstrebigkeit auch Raum für Individualität lässt. Charmante Lässigkeit mit Anflügen von Selbstironie, Bereitschaft zur fürsorglichen Toleranz, verantwortungsbewusste Liebe zur Freiheit: Das ist ganz Lessing. Warum also Lessing? Was macht den gebürtigen Kamenzer zu einem geeigneten Schulpatron? Schüler der 10c (2021) haben gesammelt. Lessing...
- … ist der bekannteste Vertreter des Toleranzgedankens im Zeitalter der Aufklärung.
- … Lessing ist ein Vordenker der Versöhnung der Weltreligionen (im „Nathan“) und tritt für Verständigung überreligiöse und kulturelle Unterschiede ein.
- … brach eine Lanze für die Erkenntnis, mit seiner Betonung des vernunftgemäßen Denkens, von Versuch und Irrtum;
- … war ein Dichter des Mitgefühls, der Einfühlung, nicht nur der Verpflichtung;
- … war selbst lernbereit, ein guter, aber auch kritischer Schüler.
- … war einer der ersten deutschen Journalisten, ein gesellschaftlich engagierter zumal;
- … war ein Vorreiter des Gleichheitsgedankens, Grundlage der modernen Demokratie.
- … war streitbar, aber ein Befürworter friedlicher und vor allem gewaltfreier Klärung von Konflikten.
- … war vielseitig gebildet und interessierte sich für verschiedenste Wissenschaften, für Künste, Natur- und Geisteswissenschaften.
- … war kein Privilegierter; durch Bildung gelang ihm der Aufstieg.
- … wird seit dem 18. Jahrhundert ununterbrochen gespielt und ist damit der einzige Dichter seiner Zeit, der das Vergessen überdauert hat.
- … steht stellvertretend für sein Zeitalter, dessen Ideen der Schulname wachruft und zur Diskussion stellt.
- … folgte seiner eigenen Bestimmung, nicht den Vorstellungen seiner Eltern.
- … hat sich für seine Überzeugungen öffentlich eingesetzt, auch gegen starke Widerstände in Adel und Kirche (etwa im „Fragmentenstreit“).
- … war kein Hof- und Palastdichter, sondern schrieb für alle.
- … legte mehr Wert auf das Fragen und eigenständiges Nachdenken als auf vorgefertigte Lösungen
- … war hartnäckig, ließ sich weder von Verboten einschüchtern noch durch anfängliche Erfolglosigkeit entmutigen.
- … hat auch für die Religionsgeschichte einen Beitrag geleistet: Er veröffentlichte das Werk des Theologen Reimarus und löste damit einen Theologenstreit aus;
- … war mit dem „Laokoon“ ein bedeutender Kunst- und Medientheoretiker.
- … empfiehlt – beispielsweise im „Nathan“ – ein Problem von allen Seiten zu betrachten.
- … war ein Fürsprecher der Freiheit von Vorurteil und Klassendenken.
- … ist in unserer Kultur als Person noch lebendig (durch Schulbenennungen, durch Denkmäler, durch die Benennung einer Pflanzengattung, durch Erinnerungsstätten in Kamenz und Wolfenbüttel).
- … war mit der „Hamburgischen Dramaturgie“ einer der bedeutendsten Literaturtheoretiker im deutschen Sprachraum.
- … war ein Vordenker der Natürlichkeit im Schauspiel gegen hohles Pathos.
- … befreite das Theater vom Korsett der aristotelischen Poetik (beispielsweise lehnte er die Ständeklausel ab).
- … erkannte (beispielsweise im Gedicht „Die Faulheit“) den Wert des süßen Nichtstuns.
- … hatte die Größe, auch die Leistungen anderer Literaten anzuerkennen.
- … war ein geistreicher Stilist, der pointenreich und differenziert formulierte.
- … setzte sich für gewaltfreie Erziehung ein;
- … ist gefasst und nach außen hin würdig gestorben.
- … ist als Latein- und Griechischkenner ein Vorbild für Humanisten;
- … tat für ein „Christentum der Vernunft“ ein und stritt gegen Dogmatismus und Buchstabenglaube.
- … trat für das Vorrecht der kritischen Vernunft vor bloßer Meinung ein.
- … er beherrscht in seinen Fabeln die Kunst der indirekten Mitteilung.
- … war und ist über Landes- und Sprachgrenzen anerkannt; die Wertschätzung Lessings geht weit über Fachkreise hinaus.
- … kämpfte (beispielsweise in den „Juden“) gegen Antisemitismus.
- … lebte nicht im Elfenbeinturm, sondern wirkte auf seine Umgebung und den Zeitgeist.
- … imitierte nicht erfolgreiche Vorbilder (Molière oder Racine), sondern schuf etwas Neues.
- … Lessing schuf in seinen Stücken Figuren, die vielfach nachgeahmt und abgewandelt wurden.
- … bekämpfte Raubdruck und Plagiat, setzte sich dafür ein, dass Autoren von ihrem geistigen Eigentum leben können.