Euch Klimaschützern
Ist es nicht völlig unverantwortlich, den Engagierten Knüppel zwischen die Beine zu werfen? Sollte man angesichts der Hetzer und Einheizer nicht bedingungslos an der Seite der Jugend stehen? Ist er nicht schon Orkan genug, der Gegenwind, den Lobbyisten und Reaktionäre entfachen? Bedarf es dazu noch einer steifen Brise aus Südwest?
Selbstverständlich gibt es zum bewussten Widerstand, zur Solidarität mit euch kaum eine Alternative. Es gibt keine wichtigere Aufgabe als Klimaschutz. Wer das erkennt und gegen den Klimawandel aufbegehrt, handelt richtig und verantwortungsvoll. Es gibt nun wahrlich tausend Gründe, dafür auf die Straße zu gehen. Und ihr wisst ja selbst: Die Gegenseite ist nicht unbedingt attraktiv. Wer im Weißen Haus oder in seinem Reihenendhaus im Grünen sitzt und den Klimawandel leugnet, eine so unbestreitbare Tatsache, die für Millionen von Menschen bestürzende Wirklichkeit ist, den kann man intellektuell nicht ernst nehmen. Aussitzer und Ausweichler sind auch keine Vorbilder.
Es macht mich also wirklich nicht glücklich, wenn ich mich anhöre wie ein Widerhall von Trollen und Trotteln – wie gerne stellte ich mich auf die Seite der Jugend, die verzweifelt um ihre Zukunft kämpft, schon wegen meiner eigenen Kinder. Aber: ich muss mich querstellen. Denn euer Widerstand ist zu bequem! Wie wäre es, wenn das, was auf euren Plakaten steht, endlich zuerst euch selbst beträfe, bevor es für andere gilt?
Wenn ihr glaubwürdig sein wollt, dann ändert erst einmal etwas an eurem eigenen Leben – ein billiges Argument, besonders aus dem Mund der Untätigen, leider aber oft ein allzu treffendes. Ihr wollt mit Mama und Papa für drei Tage nach Südgeorgien fliegen, um den Pinguinen beim Ersaufen zuzuschauen? Gerne! Ihr braucht das neue iPhone, um euch für die nächste Fridays-for-Future-Demo zu vernetzen? Klar, könnt ihr haben! Dann hört bitte auf, zu moralisieren! Rollt eure Transparente zusammen! Leistet erst euren eigenen kleinen Beitrag, der euch so viel Mühe abverlangt, dass ihr lieber gleich die ganze Welt rettet. Man kann ja viel tun. Fahrrad fahren. Auf unnötige Flugreisen verzichten. Vegan leben.
Ihr könnt mit einigem Recht einwenden: Ist es nicht besser, überhaupt etwas zu tun? Gibt es nicht schon genug Mädchen, die ihren Daimler-Vätern das Loblied auf das Automobil nachbeten? Gibt es nicht schon genug Jungs, die sich lieber mit Greta Thunbergs Style als mit ihrem Stil befassen? Es gibt sie, ich bin immer wieder schockiert, wenn ich wieder welche unterrichte.
Es gibt auch die anderen, ganz gewiss, die Morgenröte der Hoffnung: die Jeanne d’Arcs des Klimawandels, die radikalen Nein-Sager, die Baumpflanzerinnen – all jene, die ihren Schulen faire Weihnachtsmänner aufzwingen, die sich vor Braunkohle-Bagger ketten und im Naturschutzgebiet die Mahd abtragen. Im Schnitt sind es aber viel zu wenige, eine Minderheit. Die Mehrheit sind Mägges-Gänger und Primark-Shopper, Lustlose, Wehleidige, Verwöhnte, Gleichgültige, und es sind manche darunter, denen das Rotorengeräusch ihrer Helikoptereltern süßer klingt als Weihnachtsglocken.
Ich habe manchmal den Eindruck, euer Protest sei oft genug nur Jugend-Folklore und Subkultur. Als gehe es euch um Identität, um Abgrenzung vom Mainstream, um Gemeinsamkeit und Generationsbewusstsein, nicht vorrangig um den Kampf gegen den Klimawandel. Eure medienaffine Selbstverliebtheit ist zuweilen nur von eurer Inkonsequenz zu übertreffen. Ein Fridays-for-Future-Aktivist dreht nicht notwendigerweise die Heizung aus, weder schließt er die Fenster, noch löscht er das Licht, wenn er das Klassenzimmer verlässt.
Der jugendliche Aktivist kauft sich seinen Ablass per Online-Petition, er sieht sich nicht notwendigerweise beim Bohren von Nistkästen oder bei der Biotoppflege, Schulter an Schulter mit Rentnern. Er ist derjenige, der mit dem Schwung der großen Geste die Erben des Wirtschaftswunders in ihre Grenzen weist. Ihr hattet eure fetten Jahre, ihr habt’s versaut - OK, Boomer? Im Grunde finde ich eure Bindungsunwilligkeit sogar verständlich – vermutlich hätte ich mich auch unbehaglich gefühlt unter lauter Silberköpfen vom Schwäbischen Albverein.
Viel zu viele von euch kaufen sich – wie wir Erwachsenen auch – mit symbolischen Handlungen frei aus ihrer Verantwortung. Das trifft besonders auf umweltbewegte Wohlhabende zu. Oft kauft man sich moralische Emissionsrechte: Wozu berechtigt der Elektromotor der Eltern, die Pelletanlage im Keller des Dreihundert-Quadratmeter-Hauses, Socken aus fair gehandelter Baumwolle? Wie oft darf man dafür nach Botswana fliegen oder vor Grönland kreuzen? Ich höre gelegentlich, ohne Fernreisen sei man geistig ärmer. Und: Hat nicht jeder Mensch Recht darauf, bestimmte Erfahrungen zu machen? Euer Verlangen nach Ferne ist ein Luxusbedürfnis, erst recht, wo es anderen Menschen Erfahrungen aufzwingt, denen ihr euch nicht aussetzen müsst: Hunger, Verzweiflung, Flucht, Tod. Wenn es um euren eigenen Komfort geht, übt ihr nicht gern Verzicht.
Während keine Generation so gut über globale Wechselwirkungen informiert ist, fehlt es an Wissen über den ökologischen Nahraum. Wo es an Wissen fehlt, fehlt es oft genug an Wertschätzung. Die Eichen, Buchen, Nachtigallen – sie sind euch egal, solange ihr euch nicht damit befassen müsst. Natur ist Kulisse oder ein abstrakter Schonraum der Seele. Es geht euch ja um eure Zukunft, die schön blank sein soll, eine grün schillernde Instagram-Marken-Zukunft!
Wozu schützen wir denn die Umwelt eigentlich? Wozu schützt ihr die Umwelt – eine Umwelt, die ihr immer weniger betretet, eingeigelt in der behaglichen Wärme eurer Jugendzimmer, oder im Netz, weltweit präsent und immer weniger da! Wald, das ist der Brokkoli auf dem fernen Hügelkamm. Wiese, das ist, wo euer Weg endet.
Ihr habt natürlich recht, dass man den Klimawandel nicht aufhält, indem man Meisenknödel aushängt. Es bedarf großer, deutlicher Zeichen. Es bedarf politischen Drucks. Aber wäre euer Protest nicht wirksamer, wenn er sich auf hartnäckiges Selbertun stützt? Wenn jedermann erkennt, dass es euch ernst genug ist mit eurer Zukunft, dass ihr selbst mit anpackt? Würde das nicht auch die Alten beeindrucken, die ihr Leben lang vom Mythos des Anpackens zehren?
Verbindet die Entschlossenheit eures Protests mit der Würde eigenen Tuns. Initiativen gibt es genug.