Rollen im Theater
Es spielt eine Rolle, wer eine Rolle spielt - im Alltagsgebrauch greifen wir oft auf den Begriff der Rolle zurück. Im Theater müssen wir genauer sein.
Formen der Rolle
Im Theater gibt es spezifische Bezeichnungen für verschiedene Rollen, die zu Beginn des Stücks in einem Dramatis personae aufgeführt werden, üblicherweise mit Name und Stellung der jeweiligen Figur, aufgeführt nach Rang und Geschlecht:
- Titelrollen, die dem Stück seinen Titel vorgeben und als zentrale Bezugspunkte dienen,
- Hauptrollen, die wesentliche Handlungsträger sind,
- Nebenrollen, die als Assistenzfiguren die jeweiligen Hauptfiguren deutlicher konturieren,
- Sprechrollen, die einen Dialoganteil haben,
- stumme Rollen, die nur handeln, aber nicht sprechen,
- Doppelrollen, die ein und derselbe Darsteller übernimmt,
- Hosenrollen, die von Frauen gespielt werden und eine männliche Figur vorgeben.
Früher war es üblich, dass Schauspieler überwiegend Rollen spielten, die zu ihrem Rollenfach gehörten: der jugendliche Liebhaber, der geizige Alte, der Intrigant; insbesondere in der Commedia dell’arte gab es feste Rollentypen: Arlecchino, den Capitano oder Pantalone.
Figur und Figuration
Figur heißt die in einem szenischen Text vorkommende Person, deren Rolle der Schauspieler übernimmt, indem er für sie handelt und spricht, die er also figuriert. Man unterscheidet in Bühnentexten:
Typen, die als charakterlich flache, schablonenhafte Figuren mit wenigen Charakterzügen gezeichnet sind;
Charaktere, die als komplexe, widersprüchliche Figuren mit innerer Tiefe angelegt sind;
Ihr Zusammentreffen in einer Szene nennt man Konfiguration, das grundlegende Beziehungsgeflecht eines Stücks nennt man dagegen Konstellation.
Merkmale einer Rolle
Wer in einem Stück eine Rolle spielt, übernimmt Handlungs- und Sprechanteil einer Figur - oft aber noch mehr. Zur Rolle einer Figur gehört …
… ihr Lebensalter
… ihr Geschlecht
… ihre Herkunft
… körperliche Merkmale
… Charakterzüge
… ihre soziale Stellung, ihr Status,
… ihre Beziehung
Erarbeitung einer Rolle
Üblicherweise erwartet man, dass Schauspieler sich rollenkonform verhalten, In bestimmten Situationen können sie jedoch auch aus der Rolle treten und sich ans Publikum wenden – ein typischer Verfremdungseffekt. Bei aller Rollendistanz benötigen Schauspieler, wenn sie in die Rolle gehen, auch Einfühlung und Wissen über die darzustellende Figur. Zur Erarbeitung einer Rolle gehört daher, sich zu fragen:
- Wer ist die Figur?
- Was tut sie?
- Wo befindet sie sich?
- Woher kommt sie?
- Wohin will sie?
- Was bewegt sie?
Zum Rollenspiel gehören auch eigene Anteile, die wir selbst einbringen, wenn wir die Rolle spielen:
- Empfindungen
- Erfahrungen
- Fantasien
- Unbewusstes
- Konzepte und Scripts
- Unsere Körperlichkeit
Wie man sich eine Rolle erarbeitet
Ein zentrales Aufgabenfeld des Schauspielers ist die Rollenarbeit. Ziel ist, sich eine Rolle so zu erschließen, dass man sie auf der Bühne glaubwürdig verkörpert.
Rollenbiographie: Die Rollenbiographie ist eine kurze Lebensbeschreibung der Figur, die auf genauer Lektüre des Texts beruht. Relevant ist der Rollentext der Figur und anderer Figuren, aber auch Regie- und Bühnenanweisungen.
Subtext: Der Subtext ist der unausgesprochene Anteil des Dialogs, den die Regie oder der Schauspieler ergänzt – hier werden Gedanken, Ziele, Vorstellungen und Gefühle ausformuliert. In der Regel wird er etwas kleiner und kursiv unter den Sprechtext gesetzt.
Ausprobieren: Viele Rollen sind uns nicht unmittelbar zugänglich. Manchmal kann es hilfreich sein, sich selbst den Erfahrungen der Figur auszusetzen.
Recherche: Um eine Figur vollkommen glaubwürdig zu spielen, kann es hilfreich sein, sich ihr Weltwissen durch Recherche zu verschaffen.
Besetzungsprobleme
Gibt es zu viele Rollen, aber zu wenige Schauspieler, hat man nur wenige Möglichkeiten:
- Man lässt eine Doppelrolle spielen;
- Man streicht Rollen, sofern sie entbehrlich sind.
Zuweilen gibt es zu viele Schauspieler für die geringe Anzahl der Rollen, die ein Stück vorsieht. Dann hat man die Wahl:
- Können mehrere Spieler Teile der Rolle übernehmen und sie symbolisch weitergeben?
- Gibt es Sollbruchstellen im Stück, die eine Rollenübergabe plausibel machen? Etwa Zeitsprünge?
- Können mehrere Schauspieler treten gleichzeitig auftreten und verschiedene Aspekte der Figur verkörpern?
- Lassen sich Figuren (zeitweise) durch Chöre ersetzen?
- Können Figuren in unterschiedlichen Zuständen (Alter, Emotion, Status) von unterschiedlichen Darstellern gegeben werden?
- Lassen sich stumme Rollen oder Sprechrollen ergänzen?
Übungen
Rollenwechsel: Zwei gegensätzliche Figuren improvisieren eine Szene (z. B. Boxkampf). Dann erfolgt ein Rollenwechsel.
Regieanweisung: Zwei Spieler spielen eine Alltagszene. Reihum rufen ihnen die anderen Regieanweisungen zu, die sofort befolgt und ins Spiel integriert werden.
Subtext: Zwei Spieler improvisieren eine Pantomime. Ihre Gedanken werden als Subtext von zwei weiteren Spielern in der Ich-Form
Bibliographie
- Weintz, Jürgen: Theaterpädagogik und Schauspielkunst:Ästhetische und psychosoziale Erfahrung durch Rollenarbeit. Berlin: Schibri-Verl., 2008 (4. Aufl.)
- Scheller, Ingo: Szenisches Spiel:Handbuch für die pädagogische Praxis. Berlin: Cornelsen, 2016 (7. Aufl.)
- Stanislavskij, Konstantin Sergeevič: Stanislawski-Reader: Die Arbeit des Schauspielers an sich selbst und an der Rolle. Leipzig: Henschel, 2007
- Caine, Michael: Weniger ist mehr: Kleines Handbuch für Filmschauspieler. Berlin: Alexander-Verl., 2005
- Rellstab, Felix: Wege zur Rolle. Wädenswil: Stutz, 1996
- Adler, Stella: Die Schule der Schauspielkunst: 22 Lektionen. Berlin : Henschel, 2005
- Detken, Anke; Schonlau, Anja: Rollenfach und Drama. Tübingen : Narr, 2014 (Forum modernes Theater. Schriftenreihe; 42)
- Alʹsic, Jurij: 40 Fragen an eine Rolle: Eine Methode zur selbstständigen Erarbeitung der Rolle. Berlin: Ars Incognita, 2005
- Iden, Peter (Hg.): Meine liebste Rolle: Schauspieler über sich selbst. Frankfurt am Main : Insel-Verl., 1993
- Goffman, Erving: Wir alle spielen Theater: Die Selbstdarstellung im Alltag. München: Piper, 2003
- Seelze, Friedrich: Rolle. Schultheater; 2013, 12