Verfassen einer Redeanalyse
Was ist eine Redeanalyse?
Eine Redeanalyse ist eine Sonderform der Sachtextanalyse. Das ergibt sich aus ihrem Publikumsbezug. Natürlich werden auch viele Reden zunächst in Schriftform gebracht. Allerdings wird daraus meist ein mündlicher Vortrag. In der Klausur liegt er dann – zum Beispiel als Mitschrift – wieder schriftlich vor. Reden werden dafür geschrieben, dass jemand sie hält. Ihre Form ist zum einen also auf das Sprechen zugeschnitten, zum anderen auf den Sprecher. Weil das Publikum die Rede oft zeitgleich hört, muss es in die Analyse einbezogen werden. Im Extremfall (das ist besonders bei politischen Reden der Fall) muss man auch Äußerungen der Zuhörerschaft einbeziehen. Sie geben Auskunft darüber, wie die Rede ankommt.
Im Gegensatz zu vielen Sachtexten (Essay, Glosse) haben Reden in aller Regel einen konkreten Anlass. Wer redet, tritt zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem bestimmten Ort vor sein Publikum; seine Zuhörerschaft soll nach der Rede anders fühlen, glauben, meinen oder handeln. Geredet wird täglich. Im Grunde leuchtet deshalb schon ein, wie wichtig uns das gesprochene Wort sein sollte. Wer eine Rede analysiert, hilft seiner Leserschaft, die Rede inhaltlich besser zu verstehen. Er hilft den Leser*inne*n jedoch auch, ihr Wirkungsgefüge zu durchschauen. Eine gute Redeanalyse ermöglicht deinem Publikum etwas besonders Wichtiges: kritisch zu prüfen, ob der Redner ein berechtigtes Anliegen verfolgt.
Warum ist es wichtig, Reden analysieren zu können?
- Zukunftsbedeutung: Öffentliche Ansprachen enthalten versteckte Hinweise darauf, wie es mit uns weitergehen soll. Wer Reden analysiert, untersucht künftige Politik, die wiederum unser Leben prägt.
- Kritisches Denken: Wer Reden analysiert, hört sie anders. Rhetorische Kompetenz schützt vor Manipulation und Überwältigung.
- Textverständnis: Jede Redeanalyse trägt dazu bei, unsere Sensibilität für rhetorische Struktur von Reden zu schulen. So verbessern wir unsere eigene Fähigkeit, Reden zu schreiben.
- Nützlichkeit in der Schule: Auch in Gemeinschaftskunde und Geschichte sind in höheren Klassen Reden zu analysieren, Dabei geht es nicht nur darum, was gesagt wird, sondern auch darum, wie es gesagt wird.
Tipps zur Vorbereitung
- Besonders wichtig ist Erfahrung! Höre dir bekannte Reden an – so erwirbst du dir ein Gespür für Zwischentöne und typische Strukturen.
- Nicht weniger wichtig ist Struktur! Erstelle dir einen Leitfaden mit Hinweisen darauf, was in jedem Teil des Aufsatzes erwartet wird.
- In der Regel enthält der Unterricht zahlreiche Hinweise darauf, mit welcher Art von Rede du in der Klausur rechnen musst. Sei aufmerksam!
- Lege dir eine Sammlung der wichtigsten Argumentationsfiguren an (Sachargument, Autoritätsargument, moralisches Argument…).
- Wiederhole Fachbegriffe für gängige Formen der Redeabsicht: Polarisierung, Diffamierung, Beschwichtigung, Motivation, …!
- Setze dich mit den üblichen Redetypen auseinander: Fernsehansprache, politische Rede, Preis- und Festrede – weniger oft werden in Klausuren Reden aus persönlichem Anlass vorgelegt.
- Wiederhole die Stilmittel, die in Reden häufig vorkommen – das sind Wirkungsfiguren wie Repetitio und Anapher, aber auch Gliederungsfiguren wie Antithese und Klimax.
- Erstelle eine Zeitleiste, in der du Erschließung (15 min), Konzept (15 min), Reinschrift (50 min) und Korrektur (10 min) einbeziehst.
Erschließung und Konzept
Die Textanalyse gelingt am besten, wenn du den Text systematisch erschließen kannst. Das ist dazu nötig:
- Hebe die Operatoren (z. B. „Analysiere“) hervor. Markiere weitere wichtige Hinweise in der Aufgabenstellung.
- Markiere für deine Einleitung alle Informationen über die Textquelle und den Autor (Datum, Anlass…).
- Schau dir den Titel an – oft enthält er Hinweise zur Textsorte und zum Ziel der Rede. Halte deine Ergebnisse fest!
- Nummeriere die Zeilen (falls keine Zeilennummern vorhanden sind).
- Lies den Text erst ganzheitlich und verschaffe dir ein Grundverständnis.
- Markiere Hinweise zur Sprecherrolle und zum Adressatenkreis!
- Teile den Text in einzelne Abschnitte ein und nummeriere sie.
- Hebe die wesentlichen Argumentationsschritte hervor und unterscheide dabei Behauptung, Begründung und Beleg.
- Markiere und benenne die Stilmittel und weitere Redemittel. Ergänze deren Funktion!
- Erstelle ein Konzept und kennzeichne es mit „Konzept“. Schreibe dir eine Liste aller Aufsatzteile und Unterpunkte auf. Ergänze deine Befunde.
Gliederung einer Redeanalyse
Überschrift
Die Überschrift sollte zum einen die Textsorte nennen: „Sachtextanalyse zu einer Rede“ oder „Redeanalyse“. Dann muss die Textgrundlage erwähnt werden: Redner, Redetitel, Jahr.
Textanalyse zu Joachim Gaucks Fernsehansprache „Ihre Stimme hat Gewicht“ (2013)
Einleitung
In der Einleitung führst du zunächst zum Thema hin. Du legst dar, warum das Thema wichtig ist – vielleicht ist es aktuell, betrifft viele Bürger, greift in unser Leben ein oder führt zu folgenschweren Entscheidungen. Vermeide krasse Schreib- oder Formulierungsfehler in den ersten Zeilen. Nenne dann das Genre der Rede (Fernsehbotschaft) und – in Anführungszeichen – ihren Titel(„Ihre Stimme hat Gewicht“). Außerdem will der Leser wissen: Wer hat die Rede verfasst oder gehalten? (Joachim Gauck.) In welcher Eigenschaft? (Als Bundespräsident.)Wann wurde sie gehalten oder ausgestrahlt? (Am 22. September 2013.)Wo wurde sie gehalten? (Auf Schloss Bellevue.) Von großer Bedeutung sind auch der Anlass der Rede (Bundestagswahl 2013) und ihr Ziel(Nichtwähler zur Stimmabgabe motivieren). Es ist durchaus möglich, dass sich der Redner ein ganzes Bündel von Zielen vorsetzt.
Das Wahlrecht ist die Grundlage der Demokratie – eine Wahlpflicht gibt es hingegen nicht. Deswegen gehen viele Bürgerinnen und Bürger nicht wählen. In einer Fernsehbotschaft mit dem Titel „Ihre Stimme hat Gewicht“ 19. September 2013, ausgestrahlt zunächst in der ARD, wendet sich Bundespräsident von Schloss Bellevue aus an die Wählerinnen und Wähler.
Angesichts der bevorstehenden Bundestagswahl ruft Gauck dazu auf, bei der Wahl vom Stimmrecht Gebrauch zu machen und verfolgt damit das Ziel, Nichtwähler zur Teilnahme am demokratischen Prozess zu ermutigen.
Inhaltliche Gliederung
In diesem Abschnitt fasst du die Grundgedanken der Rede knapp zusammen und zeigst, wie sie verknüpft sind. Dabei ist dreierlei besonders wichtig: Grundsätzlich verwendest du das Präsens. Zum anderen solltest du zum Gesagten Distanz halten (indirekte Rede!), zum anderen solltest du deine Aussagen belegen. Das kannst du mit einem direkten Zitat tun („vital“, Z. 23) oder mit einem indirekten Zitat (Gauck will die Demokratie am Leben erhalten, vgl. Z. 23).
Beginne zunächst mit einem Überblickssatz, der die Zahl der Abschnitte nennt. Führe dann jeden Abschnitt mit seiner Ordnungsnummer und dem Zeilenumfang ein. Gib die Grundgedanken der Rede wieder. Gehe auf die Absicht des Redners oder der Rednerin ein. Unterscheide verschiedene Argumentationsmuster. Trenne Behauptung, Begründung und Beleg. Wenn Orte, Personen oder Schriftquellen genannt werden, führe sie auf.
Gaucks Ansprache lässt sich in fünf Abschnitte gliedern.
Im ersten Abschnitt (Z. 1-8) unterstreicht Gauck, wie wichtig Wahlfreiheit ist und schließt die Freiheit ein, nicht zu wählen. Demokratie entstehe jedoch nicht einfach, so Gauck, sondern verwirkliche sich durch Teilnahme. Warum die die Teilnahme ist, führt er im zweiten Abschnitt aus (Z. 9-18). Mit unserer Wahl entscheiden wir zugleich, wie in unserem Land Politik gemacht wird. Nach Gauck beeinflusst auch das Nichtwählen die Politik.
Daraus folgt im dritten Abschnitt (Z. 19-27) ein Appell. Er fordert seine Zuhörer auf, die Demokratie trotz ihrer Schwächen nicht preiszugeben. Er stellt dem „Verdruss“ die Stärken der Demokratie entgegen. Sie sei „vital“, „offen für Veränderung“ und „lernfähig“ (Z. 23 f.). Vor allem aber schütze sie unsere Eigenständigkeit als Bürger (vgl. 24 ff.).
Im vierten Abschnitt seiner Ansprache (Z. 27-33) entkräftet Gauck das Argument, die einzelne Stimme sei unwesentlich. Außerdem betont er die Gleichheit der Wahl.
Im fünften und letzten Abschnitt (Z. 36-38) greift Gauck seine Eingangsbemerkung auf, die Bürger hätten „die Wahl“ (Z. 36) und nennt drei Alternativen: „abwarten, zuschauen oder mitwirken“ (Z. 35).
Redeanalyse
Der Hauptteil deines Aufsatzes ist die eigentliche Analyse der Rede. Hier geht es darum, das Wie der Rede zu erarbeiten. Beginne mit den grundlegenden Fragen der Kommunikation. Erstens: In welcher Rolle zeigt sich der Sprecher? Wirkt er wie ein verständnisvoller Freund oder tritt er als strenger Mahner auf? Zweitens: Wie geht er mit seinem Publikum um? Spricht er es direkt an? Wie spricht er es an – mit einem distanziert-respektvollen Sie oder mit dem vertrauteren Ihr? Macht er sich selbst mit Wir-Sätzen zum Teil der Gruppe? Drittens: Welche Tonlage und welchen Redehaltung wählt er: salopp, ironisch, sachlich? Ist das Grundsätzliche geklärt, folgt eine Untersuchung der Redemittel. Untersucht wird der Wortschatz, der Satzbau, die Verwendung rhetorischer Figuren und Bilder (Metapher, Vergleich). Auch Anspielungen und Zitate sind wichtig. Bei der Darstellung zählt dreierlei: Erstens darf der Leser nicht den Überblick verlieren. Das schaffst du mit Überblickssätzen („Gauck kommt auf drei Gründe zu sprechen: …“) und Listen („Erstens … ; zweitens …“). Zweitens darfst du das Ganze der Rede nicht außer Acht lassen, also das, was vorher gesagt wurde und nachher gesagt wird. Stelle Bezüge her! Drittens solltest du das Wie immer mit dem Wozu verknüpfen, mit der Funktion der Redemittel: Der Leser will nicht nur wissen, dass die Rede Stilmittel enthält, er will auch wissen, welche Wirkung davon ausgeht. Auch in diesem Aufsatzteil gilt: Belege deine Aussagen!
Joachim Gauck entscheidet sich in seiner Ansprache für einen bürgernahen Ton, der Vertrauen schaffen soll. Schon die Begrüßung unterstreicht, dass er seine Zuhörer vor allem in ihrer Rolle als „Bürgerinnen und Bürger“ anspricht. Mit der Verwendung von Wir-Sätzen (Z. 2) verdeutlicht er seine Zugehörigkeit zur Bürgerschaft. Die Anapher der beiden ersten Sätze auf „Wir“ unterstreicht diesen Eindruck. Die wiederholte Verwendung des Fahnenworts „Freiheit“ (Z. 4 u. 6.) trägt dazu bei, dass das Wählen als etwas Erstrebenswertes wahrgenommen wird. Dass er die Wahl nicht erzwingen kann, verdeutlicht Gauck schon mit der Eingangsbemerkung, die mit zwei Bedeutungen des Worts „Wahl“ spielt: „Wahl“ ist die individuelle Entscheidung für oder gegen eine Sache, zugleich aber der politische Vorgang des Wählens. […]
Schluss: Fazit und Einordnung
Der Schluss des Aufsatzes ist oft dessen schwächster Teil, was zum einen daran liegt, dass der Verfasser in Zeitnot gerät, zum anderen ist oft nicht klar, was man im Schlussteil schreiben könnte. Folgende Elemente sind geeignet:
- Eine Betrachtung des Titels: Warum wurde die Rede so benannt? Was folgt daraus?
- Das wesentliche Ziel der Rede: Worauf zielt die Rede?
- Die Person des Redners: Lässt sich das Redeziel besser einordnen, wenn man die Biographie des Redners kennt?
- Die Rolle des Redners: Bleibt der Redner im Rahmen seiner Rolle oder geht er darüber hinaus?
- Das Medium: Inwiefern beeinflusst das Medium (z. B. Fernsehen) und die Umgebung den Redner?
- Publikum: Welche Bedeutung haben die anwesenden Personen für die Rede?
- Grenzen der Rede: Was kann sie erreichen? Was nicht?
- Bedeutung der Rede: Hatte die Rede Folgen?
- Persönliche Einschätzung: Ist das Redeziel aus deiner Sicht legitim? Ist dieses Ziel nachvollziehbar und berechtigt?
Bereits der Titel der Ansprache macht deutlich, worauf Gaucks Rede zielt: „Ihre Stimme hat Gewicht – Wahlaufruf zur Bundestagswahl“. Angesichts einer steigenden Zahl von Nichtwählern seit der Jahrtausendwende sollen mehr Bürgerinnen und Bürger von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen. Deswegen geht er wiederholt auf mögliche Zweifel am Sinn des Wählens ein, um sie zu entkräften. Gaucks Aufgabe als Bundespräsident ist es, der Verfassung eine Stimme zu geben – und dem Bürger Vertrauen in die Demokratie. Als ehemaliger DDR-Bürgerrechtler weiß Gauck, welches Privileg und welche Verpflichtung es darstellt, vom Stimmrecht Gebrauch zu machen. Natürlich kann der Bundespräsident im Rahmen einer kurzen Ansprache nicht die tieferen Ursachen der Wahlmüdigkeit analysieren. Zudem muss er sich hüten, seine Analyse nicht wie eine Schuldzuschreibung wirken zu lassen. Es bleibt also offen, ob Gaucks Ansprache die Wahlmüdigkeit beseitigen kann. Als Fernsehansprache ist Gaucks Rede den Nutzungsgewohnheiten des Mediums ausgesetzt: Mancher Nichtwähler wird auch umschalten. Dennoch bin ich der Auffassung, dass es ständiger Erinnerung daran bedarf, wie wesentlich aktive Teilnahme dafür ist, unsere Demokratie robust und lebendig zu halten.