Proxemik: Raum und Theater
Der Raum, indem wir uns im Theater bewegen, wird selten als Gestaltungsmittel wahrgenommen: Raum ist aber mehr als lediglich der Abstand zwischen den Kulissen oder den Akteuren. Seine Form und Struktur bestimmt mit, wie wir Theater erleben.
Raumwahrnehmung im Theater
Raum erfahren wir im Theater,
- wenn wir uns oder andere sich bewegen,
- wenn im Raum Hall entsteht oder Geräuschquellen lokalisiert werden,
- wenn Fluchtlinien Raum visuell sichtbar machen,
- wenn andere perspektivische Mittel Raum erzeugen (z. B. Staffelung).
Räume im Theater
Schauspiel findet – im Gegensatz zum Film – im Raum statt, im realen Raum, nicht im Bildraum. Dabei kann man unterscheiden:
- den abgegrenzten Spiel- oder Aufführungsraum (es können auch mehrere sein),
- den gedanklichen Umraum, der für die Zuschauer nicht sichtbar ist (auch: das Off),
- den virtuellen Raum, den auf der Illusionsbühne die Kulissen und im zeitgenössischen Theater Videoprojektionen erzeugen,
- den Zuschauerraum, oft durch Begrenzungen von der Bühne getrennt und durch die Konvention der Vierten Wand auch ideell vom Zuschauerraum abgesondert,
- den Außenraum, in dem die Theaterkonventionen erst hergestellt werden müssen.
Wie Raum auf der Bühne entsteht
Auf der Bühne entsteht Raum durch
- die Abmessungen des Theatergebäudes oder des Spielorts (z. B. beim Freilichttheater);
- Symbolische Begrenzungen (z. B. durch Markierungen auf dem Bühnenboden);
- durch Beleuchtung;
- durch Kulissen und andere Elemente des Bühnenbilds;
- durch die Andeutungen der Mitspielenden.
Dimensionen
Beschrieben wird der Raum im Theater immer vom Publikum aus. Im dreidimensionalen Raum der Guckkastenbühne ist von Bedeutung:
- vorne (an der Rampe) – hinten (am Bühnenhintergrund);
- rechts und links (vom Zuschauer aus betrachtet);
- oben, auf gleicher Ebene, und unten.
Bei anderen Bühnenformen wie dem Environmental kann der Spielraum auch vom Zuschauerraum umgeben sein, beim unsichtbaren Theater wird er nicht markiert; beim Stationendrama wechselt der Spielort.
Oft wird der Bühnenboden in fünf (oder neun) Positionen unterteilt.
Raumformen
Im Grunde sind im Theater viele Raumordnungen möglich:
- Leere Räume (wie in der Raumbühne bei Peter Brook) oder volle Räume;
- Offene oder geschlossene Räume;
- Räume im Raum;
- Labyrinthe;
- Symmetrische und asymmetrische Räume;
- Enge, schlauchförmige Räume;
- Besonders weite Räume;
- Niedrige Räume oder besonders hohe Räume;
- Flach oder kuppelförmig abschließende Räume;
- Illusionistische Räume, die durch optische Tricks größer wirken, als sie sind.
Proxemik
Beim Spiel im Raum gibt es verschiedene Möglichkeiten:
- Wahrung des Abstands,
- Symbolisches Verbinden der Räume (durch aufeinander weisende Gesten, durch Beleuchten in derselben Lichtstimmung;
- Annäherung, schnell oder zögerlich,
- Entfernung, schnell oder zögerlich.
Übungen
- Blind im Raum: Schließt die Augen. Geht durch den Raum. Zeigt mit dem Finger auf ein Objekt. Öffnet die Augen: Stimmt’s?
- Punktetausch: Definiert mit Kreide euren Standort. Nehmt mit Blicken Kontakt auf. Auf mein Signal: Tauscht eure Plätze!
- Entdeckung: Schlaft ein. Wenn ihr erwachtet, befindet ihr euch zum ersten Mal in diesem Raum, der wunderbare Entdeckungen für euch bereithält.
- Achter: Bildet eine Schlange, die einen Achter beschreibt; achtet an den Schnittpunkten auf das Reißverschlussverfahren!
- Kabbadi: Bildet zwei Spielfelder, am besten auf dem Rasen. Je fünf (oder sieben) Spieler treten gegeneinander an. Je ein Spieler dringt in den Raum der gegnerischen Mannschaft ein und versucht sie abzuklatschen oder die Grundlinie zu überschreiten. Dann kehrt er wieder zurück – ohne zu Boden gebracht oder festgehalten zu
Bibliographie
- Fischer-Lichte, Erika (Hg.); Wihstutz, Benjamin: Politik des Raumes: Theater und Topologie. Paderborn: Fink, 2010
- Brook, Peter: Der leere Raum. Berlin : Alexander Verl., 2009 (10. Aufl.)
- Roesner, David (Hg.); Wartemann, Geesche; Wortmann, Volker: Szenische Orte - mediale Räume. Hildesheim [u.a.] : Olms, 2005 (Medien und Theater; N.F., 1)