Winnendens Literatur nach 1945
Nach der Kapitulation Winnendens am 21.4.1945 beginnt in Winnenden die Moderne: Vertriebene und Geflüchtete aus deutschen Siedlungen in Ost- und Mitteleuropa lassen sich im Kesselrain nieder. Bis dahin ist Winnenden überwiegend evangelisch, als Umgangssprache dominiert das Schwäbische. Das wandelt sich mit den Zugezogenen aus Pommern, Königsberg, Ungarn oder Jugoslawien. Winnenden profitiert von den Marshall-Hilfen der Siegermächte: Das Wirtschaftswunder führt auch in Winnenden zu zahlreichen Neugründungen. Währenddessen verliert die Landwirtschaft an Bedeutung; 1968 findet der einst so wichtige Viehmarkt zum letzten Mal statt. Winnenden wächst indessen weiter: Hatte Winnenden 1910 noch 4414 Einwohner, verdoppelt sich die Zahl nach 1945; 2020 leben knapp 30.000 Menschen in Winnenden. Viele von ihnen haben ihre Wurzeln im Ausland - vor allem in Griechenland, der Türkei, Italien, Rumänien, Ungarn oder den Staaten des ehemaligen Jugoslawien. Auch das architektonische Gesicht der Landstadt wandelt sich, teils ohne Rücksicht auf stadtgeschichtliche Belange: Fachwerkbauten müssen weichen, mit dem Schelmenholz entsteht 1971 eine Trabantensiedlung zur Behebung der akuten Wohnungsnot.
Als konservativ regierte Provinzstadt wird Winnenden nur am Rande berührt von den literarischen Entwicklungen der Zeit. Die Aufarbeitungsversuche der Gruppe 47, Trümmerliteratur, Celan, die Frankfurter Schule - kaum etwas davon dringt an den Buchenbach. Seine Verlage (Fetzer, Müllerschön) hat Winnenden allerdings verloren, ein nennenswertes Kulturleben, das vorher in zarten Ansätzen existierte, kann sich nach dem Krieg kaum entwickeln. Materielle Sorgen bestimmen den Alltag, kritische Stimmen werden oft überhört. Nicht Kunst und Literatur sind es, die Winnenden in den Fünfzigern und Sechzigern prägen: Es sind die traditionellen Institutionen der Vorkriegszeit: Sportvereine, Kirchen und die Verbände der Gewerbeitreibenden. Viele Winnender, die sich später einen Namen machen, verlassen ihre Heimatstadt. Erst Ende der Sechziger löst sich die Bleidecke des Vergessenwollens auch in Winnenden. An den neu gegründeten Gymnasien, dem Georg-Büchner-Gymnasium und dem wenig später eröffneten Lessing-Gymnasium, hält der frische Geist der Achtundsechziger Einzug.
Erst in den späten Siebzigern und Achtzigern entsteht eine wirksame Gegenöffentlichkeit: Con Berner schreibt seinen karrierekritischen Bestseller Der Karriere Terror, die VHS wird gegründet, die alternative Buchhandlung Halder entsteht, Anthroposophen und Veganer organisieren sich, eine Ortsgruppe der Grünen bildet sich heraus, die Punkband Normahl gründet sich. In den Neunzigern beginnt Winnenden, die NS-Zeit aufzuarbeiten: Das neugegründete Stadtarchiv, zunächst unter Roland Schurig, dann unter Sabine Reustle, bestimmt mit der Reihe Winnenden - Gestern und heute das Geschichtsbild Winnendens. Mit Walter Lachenmaiers Autobiographie Dafür oder dagegen! entsteht ein wichtiges Zeitzeugenbuch. Zwischenzeitlich gibt es vier Buchläden, von denen nach der Jahrtausendwende noch zwei zurückbleiben - einer davon in der Hand der Buchhandelskette Osiander. Auch die Kinder- und Jugendliteratur macht sich bemerkbar: Die Höfener Autorin Sissi Flegel, ursprünglich Älblerin, schreibt eine ganze Reihe erfolgreicher Jugendbücher; der aus Winnenden stammende Werner Holzwarth verfasst mit seinem Maulwurf-Buch eines der erfolgeichsten Bilderbücher der Berliner Republik. Heute gibt es so viele Autoren in Winnenden wie nie zuvor - und eine zunehmend wache Kulturszene.