Mina Volz-Greiner und ihre „Winnender Erinnerungen“

Mina Volz-Greiner

Im Juli 1927 erscheint in der Druckerei des „Volks- und Anzeigenblatts“ eine wertvolle Quelle zur Winnender Geschichte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts: „Winnender Erinnerungen aus der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts“. Die Verfasserin ist Mina Volz-Greiner, zu dieser Zeit bereits eine alte Dame mit gesundheitlichen Schwierigkeiten. In ihrer Jugend gehört sie zur gehobenen Gesellschaft, die Mutter ist Gewerbetreibende, der Vater ein angesehenes Mitglied des Gewerbevereins (S. 10). Als Inhaberin eines Putzmachergeschäfts hat Mina Greiner wiederholt im „Volks- und Anzeigenblatt“ annonciert. Ihr weiteres Leben liegt im Dunklen. Im Vorwort spricht die Verfasserin von einem „herbe[n] Geschickt“, das ihr „den Umgang mit Menschen wie auch jede Freude an irgendwelchem Wohlklang zur Erhebung versagt“. Ferner bezeichnet sich Volz-Greiner als „vielfach verkann[t]“. Jedenfalls sieht Greiner die neue Zeit äußerst kritisch: Ums Sparen wird zu viel Aufhebens gemacht, die Kinder sind unerzogen. Andererseits konstatiert sie zuletzt, dass sich die Menschheit ganz vortrefflich entwickle.

„Winnender Erinnerungen“

Die Erinnerungen beginnen mit dem sonntäglichen Kirchgang, zudem sich die Filialisten der umliegenden Dörfer am Eck von „Dorn’s Gässle“ (an der Schlosstraße) versammeln, um gemeinsam den Gottesdienst aufzusuchen (S. 3). Sie beschreibt Sonntagsfreuden im Bühler’schen Bad und im Hirschgarten und erwähnt das abendliche Tränken des Viehs am Stadtbrunnen (S. 4).

Anschaulich ist Volz-Greiners Beschreibung der Schule im zweiten Teil der „Erinnerungen“: Vormittags habe es nur eine Pause gegeben und ferner drei Ferienepochen (Heu, Ernte, Herbst). Winters sei es vor Kälte und Rauch kaum auszuhalten gewesen. Die Erwachsenenkurse im Währungsrechnen erwähnt Volz-Greiner ebenfalls (S. 5). In den „Neunlinden“ hätten Kinderfeste stattgefunden, später im Stadtgarten – mit den Kindern der Paulinenpflege sei ein Festzug organisiert worden. Allerdings habe die Musik noch keinen „Genuß“ geboten. Ohne besondere Sympathie spricht Volz-Greiner von einem Knaben aus Bürg mit dem Spottnamen „Braunle“, „bei dessen Anblick man unwillkürlich der Lehre Darwins beistimmte“ (S. 6). Mehr Zuneigung scheint sie zum späteren Burenoberst Adolf Schiel empfunden zu haben, der als „Frankfurterle“ bekannt war und sich beim Turnen besonders ausgezeichnet habe.

Der dritte Teil beginnt mit den Beschwerlichkeiten des Verkehrs vor dem Bau der Eisenbahn: Die Fahrt mit der Postkutsche und dem „Omnibus“ war unangenehm und nicht ganz ungefährlich. Dann wendet sie sich dem Postwesen zu: Der Posthalter (Remshardt, M. B.) habe noch mit einem Gänsekiel geschrieben, nur einen Postboten habe es gegeben. Eine Karikatur ist ihre Beschreibung des alten Carl Dreiß, „Schulmeister A. D.“ (S. 7), der in den Siebzigern des 19. Jahrhunderts manches religiöse Gedicht zum „Volks- und Anzeigenblatt“ beisteuert. Das Städtchen träumt in Volz-Greiners Darstellung vor sich hin, dass selbst die Polizei noch Zeit zum Stricken findet. Belebter ist die Stadt an Markttagen, die Volz-Greiner ausführlich beschreibt – einschließlich der Attraktionen (Drehorgel, Karussell, „Jungfrau’n mit der Harfe“, Tanzmusik). Als Mitglied der ehrenwerten Gesellschaft erwähnt Volz-Greiner den Grafen von Wartensleben und den Forstamtsvorstand Baron von Entreß. 

Im vierten Teil schildert sie zunächst ein Freibad im Buchenbach „mit Tuchbespannung ringsum“ (bei der „Walk (jetzt Kalmbachs Anwesen“, S. 9); die Jugend badete im Mühlkanal oder im Zipfelbach. Sie erwähnt auch die Lesegesellschaft unter Reallehrer Maier, die im ersten Weltkrieg aufgelöst wurde, und den Casinoverein der guten Winnender Gesellschaft. Im Anschluss folgt eine zweite Charakterskizze – die des dichtenden „Galoppschneiders“ Friedrich Kurz, den sie geradezu verspottet.

Besonders ausführlich widmet sich Volz-Greiner der Gewerbeausstellung von 1868 im Fruchtkasten, der zu dieser Zeit noch Kaufmann Cloß gehörte (heute: Kastenschule). Von besonderer Wichtigkeit ist ihre Schilderung des königlichen Besuchs in Winnenden: Anlässlich der Gewerbeausstellung beehrt Karl von Württemberg die Stadt mit ihrer Anwesenheit, bleibt aber im Bereich des Kronenplatzes.

Der sechste Teil der Erinnerungen gilt dem baulichen Zustand der Stadt: Sie erwähnt das Wahl’sche Haus an der damals noch nicht durch die Zuglinie unterbrochene Landstraße, aber auch das von Kameralverwalter Kornbeck bewohnte Kameralamt, das 1927 schon das „Wallisser“ ist. Die Schlosstraße ist noch nicht bebaut, hier befindet sich zu dieser Zeit noch der Garten des Grafen Wartensleben. Gut erinnert sich Mina Volz-Greiner noch an das Herbsten und den Orkan des Jahres 1869, den sie ebenso lebendig beschreibt wie die Hopfenernte für die fünf Winnender Brauereien (S. 16).

Weihnachten ist der Gegenstand des siebten Teils. Sich abgrenzend von den Bräuchen ihrer Gegenwart schildert Volz-Greiner das Weihnachten der Vergangenheit in der Kleinkinderschule und den Zwölf-Uhr-Ruf des Nachwächters Vetter, der „mit seiner schönen, klangvollen Tenorstimme“ (S. 16) den Altjahresabschied markiert. Vom Bahnbau, der Studenten des Stuttgarter Polytechnikum nach Winnenden bringt, kommt sie zum Krieg gegen Frankreich und der Gründung des Sanitätsvereins unter Baronin von Entreß.

Im achten Teil zitiert Mina Volz-Greiner ausführlich aus Dr. Bunz‘ „Der Hochalter zu St. Jakob in Winnental“ (S. 17), dessen Restaurierung in Winnenden ebenso gefeiert wird wie die Fertigstellung der neuen Wasserleitung. Amüsant ist die Anekdote, der Oberlehrer Färber aus dem Hohenlohischen habe ein Gold-Eile entdeckt, das sich rasch als Goldeule entpuppt (S. 18), also als Schleiereule. Auch der Neuanlage der Schlossstraße widmet sie einige Zeilen.

Die Einweihung der neuen Wasserleitung des Reservoirs auf dem Stöckach, das die Autorin im neunten Teil schildert, findet in feierlicher Verbindung mit dem Kinderfest statt. Auch die blau uniformierten Böhmen mit ihren Tschakos sind dabei (S. 19). Die Festrede hält, nachdem niemandem „die Gabe der freien Rede eigen“ ist, der Helfer Lang. Mit Liebe zum Detail beschreibt Volz-Greiner das Kinderfest im Stadtgarten, das mit einem Wolkenbruch endet.

Kein Wunder, dass die Brunnenstube, die man über den Kesselrain erreichte, ein beliebtes Ausflugsziel war – ebenso wie der Hungerberg, wo die Bahnstrecke gebaut wurde. Volz-Greiner führt aus, dass gerade die italienischen Eisenbahnarbeiter „eine rege Aufmerksamkeit“ erforderlich machten (S. 21-22). Sie entwirft einige Szenen bei der Fasnacht und beim Wiener Walzer und schließt mit der Einweihungsfeier zum Bahnanschluss.

Die Verschönerung des Bahnhofs im elften Teil beendet das Eisenbahnkapitel. In Winnenden ist es Volz-Greiner nun wieder bedeutend ruhiger. Nur ab und zu lässt sich ein „Bärenführer, meist auch in Begleitung von Kamel und Aeffchen“ in Winnenden sehen (S. 24).

Der zwölfte und letzte Teil von Volz-Greiners ist zunächst eine Bilanz des Verschönerungsvereins, dem Winnenden die Umgestaltung der Kiesgrube zum Stadtpark verdanke, die Anlage zahlreicher Bänke und Spazierwege, aber auch die Neugestaltung des Kirchwegs. Ausgerechnet dem Phonographen, der in Winnenden 1879 vorgeführt wurde, entnimmt Mina Volz-Greiner die Erkenntnis, dass „sich die Menschheit schrittweise dem Ziel ihrer Vollendung näher[e]“ (S. 26).

Quelle

  • Volz-Greiner, Mina: Winnender Erinnerungen aus der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts. Winnenden: Buchdruckerei des Volks- und Anzeigenblatts, 1927