Literarische Stadtführungen in Winnenden
Typische Probleme bei literarischen Stadtführungen
Bei einer literarischen Stadtführung ergeben sich oft folgende Probleme:
- Die Gruppe istunruhig oder abgelenkt: Es empfiehlt sich, einen störungsfreien Ort aufzusuchen und die Gruppe etwas tun zu lassen (Gedicht sprechen) – sinnvoll kann es sein, ein Ritual einzuüben.
- Die Autoren sind dem Publikum nicht bekannt: Umso besser, es gibt uns die Möglichkeit, sie vorzustellen.
- Die Kenntnis der Werke lässt sich ebenfalls nicht voraussetzen: Werke können in wenigen Augenblicken lebendig werden, wenn wir sie vorstellen.
- Baustellen verwehren den freien Durchgang, Gebäude sind plötzlich eingerüstet oder verschlossen: Selbstverständlich gehen wir die Strecke am Tag vorher ab.
- Oft sind die Autoren nicht mit einzelnen Orten zu verbinden: Dann lassen sich symbolische Ort finden (Nikolaus Lenau: Schlossweiher mit Schilf > Schilflieder).
- Das Wetter ist bei Führungen oft ein Problem: Es kann stürmen, regnen oder schneien, extrem kalt oder besonders heiß sein: Wenn sich die Führung nicht absagen lässt, sollte man das Manuskript gut sichern, sich wettergerecht kleiden (und auch die Gäste darum bitten) und Unterstellmöglichkeiten kennen.
- An Markttagen oder kurz vor Geschäftsschluss können sich Menschen durch die Lesung behindert fühlen: Wann immer es möglich ist, sollte man die Gruppe auf Nebenstrecken bewegen und das Zentrum meiden – in der Regel kann man Führungen auch so legen, dass sie die besonders frequentierten Orte und die Hauptnutzungszeiten umgehen.
- Privatleute fühlen sich durch Gruppen mit Interesse an Ihrem Haus belästigt: Es kann sehr hilfreich sein, die Eigentümer und Mieter im Vorfeld zu informieren.
- Auch akustische Probleme treten auf, Verkehrslärm, Baustellengeräusche oder Windböen können das Hören beeinträchtigen: Auch hier lässt sich durch geschickte Standortwahl viel bewirken.
- Passanten mischen sich ein und sind mit einzelnen Inhalten nicht einverstanden: Es empfiehlt sich, Passanten kurz einzubeziehen und dann fortzufahren. Wer nur zuhört, den sollte man nicht gleich wegschicken. Oft hilft ein langer Blickkontakt oder eine freundliche Begrüßung schon weiter – sie macht deutlich, dass der Passant sich in eine geschlossene Gruppe begeben hat.
Möglichkeiten einer literarischen Führung
Es gibt verschiedene Möglichkeiten, Literatur im Rahmen einer Stadtführung zu präsentieren:
- Man kann Texte rezitieren;
- Man kann Texte an Orte anbinden, in denen Motive aus diesen Texten vorkommen;
- Man kann Texte über Orte zitieren – und den heutigen Zustand vergleichen;
- Man kann Orte des Wirkens und Lebens zeigen und auf deren Bedeutung für die Biographie verweisen;
- Man kann kurze Themenvorträge halten: über die Lesekultur des Orts, über die Geschichte des Buchhandels, über die Geschichte des Bibliothekswesens;
- Man kann die Gruppe selbst etwas lesen oder sprechenlassen;
- Man kann ein kurzes Gedicht oder Abschnitte daraus lernen lassen;
- Man kann vorstellen;
- Man kann über Symbole der Wertschätzung in der Stadt sprechen (Denkmäler, Gedenkplaketten, Baumpflanzungen, Straßenbenennungen);
- Man kann literarische Museen und Gedenkstätten anlaufen;
- Man kann Gräber von Autoren und Autorinnen aufsuchen;
- Autorenporträts und Illustrationen lassen sich mit dem Tablet zeigen.
Grundsätze einer literarischen Stadtführung
- Vorrang hat die Gruppe: Das Interesse der Gäste ist entscheidend – nicht immer lässt es sich im Vorfeld abfragen. Wer aber weiß, dass eine Gruppe von jungen Erziehern und Erzieherinnen anreist, wird sich anders vorbereiten als für eine Gruppe des Schwäbischen Albvereins. Eis sollte selbstverständlich sein, die Gruppe mit ihren Besonderheiten in die Planung einzubeziehen.
- Vorrang hat der Ortsbezug: Texte sollten Orten zugeordnet werden, an denen sie entstanden sind, an denen sie erstmals vorgetragen oder aufgeführt wurden, an denen sie verlegt wurden. Nur vor Ort lässt sich der Genius loci spüren: Die unmittelbare, sinnliche Erfahrung lässt sich nur im Hier und Jetzt machen, nicht digital.
- Vorrang hat Kommunikation: Texte sind Kommunikationshandlungen, als Gespräche, denen man zuhört, und die sich plötzlich an einen selbst wenden können.
- Vorrang hat das Leben: Auch Lebensgeschichten lassen sich erzählen, als ob man den Autor oder die Autorin kannte (das mag sogar manchmal der Fall sein): Man erzählt vom Leben, das wir alle kennen, nicht von der Biographie, die uns meist gleichgültig ist. Jahreszahlen sind oft verzichtbar.
- Vorrang hat das Wahre: Eine Literaturführung ist kein Instrument eines falsch verstandenen Stadtmarketings. Wir erzählen unseren Gästen keine Heldensagen und keine Schauergeschichten, sondern ungeschönt die Licht- und Schattenseiten des literarischen Orts.
- Vorrang hat die Gegenwart. Wir können unsere Gäste in die Vergangenheit führen, sie sollten aber auch spüren, was die Texte für die Gegenwart und die Zukunft bedeuten.
Beispiel einer literarischen Stadtführung in Winnenden
- Station 1: Empfang am Marktbrunnen: Gottfried von Neifen und das Windenlied
- Station 2: Helferhaus (heute: Wolllädle): Philippine Heim und Wilhelm Waiblinger; weiter über die Schlossstraße, dann rechts abbiegen zu
- Station 3: Robert-Boehringer-Straße 4: Villa Boehringer und Cornelie Lechler; über den Weg vorbei am Marie-Huzel-Kindergarten in die Ringstraße3, links zurück an der Albert-Zeller-Schule (heute: Musikschule), rechts einbiegen in die Schlossstraße. Links ist
- Station 4: Reservelazarett: Gunter Haug über August Voll: Dieses eine Leben; über das Nebenportal der Schlossumfriedung zu
- Station 5: Mopsdenkmal: Mopsgedichte – und Martin Kirsteins Epitaph auf einen Mops; weiter zu
- Station 6: Schlossportal: Albert Zellers Lieder des Leids; Blick zu
- Station 7: Lenau-Haus: Nikolaus Lenaus letztes Gedicht – und Justinus Kerners Lokalsage vom Teufelsbrunnen; dann durch die Pforte zu
- Station 8: Innenhof Schloss: Ernst Wagner und Hermann Hesse; weiter zum Mahnmal:
- Station 9: Schlosspark: Weitere Patienten: Hermann Ling, Saalfeld, Alwine Wuthenow; durch den Park zu
- Station 10: Komturhäusle: Bernhard von Schwalbach in Ernst Hubers Der grimmige Kommenthur; an der Tagesklinik vorbei zu
- Station 11: Lessing-Gymnasium, Blick zum Rossberg: Bericht zur Schillerfeier 1905; über den Zebrastreifen zur Hermann-Schwab-Halle und zu
- Station 12: Gedenkstätte zum Amoklauf: Texte zum Amoklauf; Wendung zurück zur Stadthalle und zu
- Station 13: Stadtgarten: Immanuel Becks Eröffnungsgedicht zur Dietrich-Eckardt-Anlage; dessen Frösch ond Schwärmer; weiter durch den Stadtgarten, über den Zebrastreifen zurück Richtung Stadt und zu
- Station 14: Die Alte Kelter und ihre kulturelle Bedeutung, die „Poetischen Planetoiden“; kurzer Abstecher zu
- Station 15: Stöckachschule: Karl Mast, Schulleiter und Verfasser zweier Jugendbücher; dann entgegen der Fahrtrichtung an der Ringstraße entlang zu
- Station 16: Paulinenpflege: Jakob Philipp Heim und Helfer Heim; dann die Paulinenstraße hinauf zu
- Station 17: David Pistorius und seine Winnender Stadtchronik; die Wallstraße hinunter und an Rathaus vorbei zu
- Station 18: Buchhandlung Halder und der „Börner“ (Winnenden in Sage und Geschichte); Abschluss an
- Station 19: Verabschiedung am Marktplatz.
Weitere Orte von literarischer Bedeutung
- Buchenbachhof, Birkmannsweiler, Wohnsitz Hans Jacob Breunings, Verfasser der Orientalischen Reiß
- Kesselrain 2, Wohnhaus von Karl Mast, ferner: Karl-Mast-Bank auf dem Roßberg, Herdbrünnele unweit des Haselsteins
- Brunnenstraße, am ehem. Entenbrunnen, Gedenkplakette für Johann Gottlieb Christaller, Missionar und Philologe
- Mühltorstr. 11, Gedenkplakette für Gottlob Müller, Begründer des Methodismus in Deutschland
- Schillereiche, im Zwickel von Palmerstraße und Bachstraße, gepflanzt 1905 zum hundertsten Todestag Schillers
- Bürg, Bergfried, Überrest der Burg Altwinnenden, zwischenzeitlich im Besitz der Familie Gottfrieds von Neifen
- Gasthof „Zur Sonne“, Vortrag von Adolf Schiel, Oberst im Burenkrieg und Verfasser von 23 Jahre Sturm und Sonnenschein in Südafrika
- Redaktion der Winnender Zeitung und Buchhandlung Kreh, Faksimile-Sammlung, Bedeutung des „Volks- und Anzeigenblatts“ für die Literatur und das Theater;
- Marbacher Str. 25, ehem. Druckerei Lämmle-Müllerschön
- Marktstraße 2, Wohnhaus von Adelheid und Marie Caspart (dem „Gassenfegerle“ aus dem Gedicht von Hermann Kurz)
- Wagnerstraße, Diebsturm, Ehemaliger Standort der Druckerei Fetzer („Volks- und Anzeigenblatt“)
- Hirschgasse, Standort des „Hirsch“, in dessen Saal im 19. Jahrhundert die Theatertruppen spielte
- Adam-Müller-Guttenbrunn-Straße, Bedeutung des Autors für die Winnender Vertriebenen