Liebeslyrik

Essen und Trinken im Liebesgedicht

Einführung. Früchte und Pokale werden im Liebesgedicht dem Liebenden und der Geliebten gereicht als Sinnbilder der Verbundenheit, so, wie manche Spinnenmännchen den Weibchen eine Morgengabe reichen. Pokale sind bleibende Symbole der Bindung, und es wundert nicht, wenn Goethes König in Thule den Becher der Geliebten ins Meer schleudert. Liebe wird als Speise oder Getränk genossen, die prickelt und reizt und zuletzt schal wird. Die Liebe widersetzt sich im Gedicht der bloßen Zecherei und dem gezierten Tafeln, ist entweder raffiniertes Auskosten oder gieriges Hinabstürzen eines berauschenden Getränks. Knödel und Braten sind der Liebe abträglich, beschweren und schläfern ein. Wer unglücklich oder unerfüllt liebt, dem verschlägt es den Appetit, dem schlägt das Liebesunglück auf den Magen. Appetitlosigkeit ist eine Nebenerscheinung der Minnekrankheit. Der Kuss ist aus dem Atzen des Jungtiers entstanden und er hat viel davon zurückbehalten. Süße Flüssigkeiten trinkt der Liebende in sich hinein, die Lippen erscheinen als Blüten oder Kirschen, Liebende sind Gefäße. Dem Liebenden genügt literarisch der bloße Kuss, um den leiblichen Hunger zu vertreiben. Der Leib ist im lyrischen Geschlechtsakt ein Festmahl: die Brüste schwellen wie Äpfel oder sind weiß wie Milch, darauf locken rote Beeren. Flüssigkeiten des Körpers werden getrunken, berauschen die Trinker. Beim Liebesspiel verzehren sich die Liebenden, umfangen einander mit ihren Lippen.

Geschmack der Liebe. Duft und Geschmack, nicht nur der süße, gehören zum festen Repertoire der Liebesdichtung. Paul Fleming erwähnt in einem Epithalamion Auf Herrn Martin Schörkels und Jungfer Margarethen Putschers Hochzeit nicht umsonst in Strophe 2 zunächst "Safran-Blumen, / Himmelsschlüsseln, Rosmarin", wenn er die Seelen beim Kuss der Vermählten die "Zimmet-süßen Kehlen" hinabschickt.

Der Liebhaber als Biene. Wie die Biene unter allen Bräuten im Märchen am Honig der Lippen die richtige Braut herauskennt, so vergleicht Paul Flemings lyrisches Ich in An ihren Mund, als er sie umfangen hatte seinen Kuss dem Saugen der Biene aus einem Blütenkelch. Die Lippen scheinen ihm "geschwollen / von feuchter Süße". Mit diesem Bild spielt auch Andreas Gryphius, wenn er den Liebenden in Der Hass küsset rhetorisch fragen lässt: "Was acht ich dich Honig! was Nektar-wein dich!" (ii, 8). Süßer sind die "röslichten Klippen", von denen sich der Sprecher abgezogen fühlt. Es verwundert nicht, wenn auch die wehmütige Vanitas-Mahnung das Bild aufgreift und die Süße der Lippen mit dem Essig der Vergänglichkeit benetzt: "Empfangner Küsse / Ambrierter Saft / Verbleibt nicht lange süße / Und kommt von aller Kraft", so formuliert es Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau in Wo sind die Stunden (iv, 1-4). Den letzten Kuss nennt Johann Christian Günther in Als ihm seine Liebste ein Andrer entführte ein "schönes Henker-Mahl". Der Kuss macht leicht alle anderen Freuden des Gaumens; der Liebhaber aus Gottfried August Bürgers Die Umarmung träumt von einem solchen Kuss; ein Kuss nur, "Dann von keines Fürsten Mahle, / Nicht von seines Gartens Frucht, / Noch des Rebengottes Schale, / Würde dann mein Gaum` versucht." (iv).

Der Leib als Festmahl. Georg Rudolph Weckherlin, Eclog oder Hirten-Gedicht: Von dem Summer: "O Wärzlein Erdbeer-gleich! O unerhörter Lust, / Den zwischen den Bergelein Milch-gleichen Weg zu sehen!" – Zu Cloris spricht Corydon: "Wie selig bin ich dann, mich anzuäugelen, / Daß dein milchweiße Brust und roter Mund mich säugelen!" – Darauf wieder Cloris: "Wie selig bin ich dann, daß ich mit gutem Fug / In deinen Augen, die mich nähren / Mit Lieb und der Lieb Leid verzehren, / Mich nach Lust soieglen darf und nu kann ohn Betrug / Aufhalten ihren Flug, / Und daß den Täublein gleich wir nun einander schnabelen, / Mit Küssen Nectar-gleich begabelen, erlabelen!" Corydon meint darauf, man solle einander "der Lieb Früchten gewähren". Den Traum, aus weißer Brust gesäugt zu werden, hat der Sprecher in David Schirmers Über ihre Brüste schon verwirklicht: "Ihre Brust hab ich geküsset, / und daher ist mir so wohl. / Sie hat meinen Mund durchsüßet, / durch sie leb ich, wie ich soll." Ludwig Greves Sprecher in Irdische Frau sieht der Geliebten zunächst in die Augen senkt dann aber den Blick: "auf der verschwisterten Brust / starren die reifen Beeren, die immer / ein bißchen schielen." In Der sonderbare Tanz von Gertrud Kolmar hält die Sprecherin einen schwellenden "Zweig mit Pomeranzen"(iv, iii) in den Händen und "Auf diesem Haupt glüht unvergossen süßer Trank" (iv, iv). Sich selbst sieht sie, das "kleine Weiberweisen", als "Früchtebaum im Wind". Die nährende Hand des liebenden Du schildert Ricarda Huch in Du warst, o Hand: "Du warst, o Hand, die Taubem, die mich nährte, / Mit Milch und Honig, Brot und Wein. / Du gabst, was Rausch und Nüchternheit gewährte / Und jene Zauber, die zur Liebe weihn." (i,i-iv). Als "gesparte Frucht" sieht der Sprecher in Georg von der Vrings Siebenschläfer den Mund der Geliebten.

Liebende als Gefäße. Rilkes Sprecher trinkt in Welt war im Antlitz der Geliebten duftende Welt aus dem Antlitz der Geliebten, sich an der Welt gleichsam übertrinkend: "Ach, ich trank. Wie trank ich unerschöpflich. / Doch auch ich war angefüllt mit zuviel / Welt, und trinkend ging ich selber über." Rudolf Borchardts lyrisches Ich dagegen trinkt "den Schauder und die Küsse" (v, ii) aus dem geliebten Mund.

Liebeskannibalismus. In Robert Musils Isis und Osiris verzehrt Isis das "liebliche Geschlecht" (ii, vi) des Osiris; die Göttergeschwister versinnbildlichen die verinnerlichende Kraft der Liebe: Isis hat Osiris ihr Herz gereicht; wenn sie sich nach langer Flucht finden, verzehrt Osiris ihr Herz und sie das seine. Das Motiv wechseitigen Verzehrens findet sich auch bei Ricarda Huch in Schwill an, mein Strom: "Daß dich doch dürstete, wie sie verschmachtet! / Verzehre sie, wie sie dich trinken will."

Becher als Liebesgabe. Der Becher als Liebesgabe ist zugleich der Mund der Geliebten in Hugo von Hofmannsthals bekanntem Sonett Die Beiden: Die Hand der Liebenden ist einzeln fest und sicher, aber in der Begegnung fällt sie eine sonderbare Schwäche an: "Jedoch, wenn er aus ihrer Hand / Den leichten Becher nehmen sollte, / So war es Beiden allzuschwer: // Denn Beide bebten sie so sehr, / Daß keine Hand die andre fand / Und dunkler Wein am Boden rollte" (ii; iii). Das Weintrinken vergleicht Hofmannsthal auch in seinem Lied Im Grünen zu singen dem Geschlechtsgenuss: "Wo dir der Wein zu sauer ist, / Da trink du Malvasier, / Und wenn mein Mund dir süßer ist, / So komm nur wieder zu mir!" (I, iiii).

Liebesrausch. Den Liebesrausch beschwört August Graf von Platen in einer orientalisierenden Ghasel, die sich auf das Buch des Schenken in den Gedichten des Hafez bezieht Wenn ich hochberauscht den Becher schwenke, süßberauscht, / Fühl ich erst, wie tief ich denke süßberauscht; Mir wie Perlen runden lieblich Verse sich, / Die ich schnüreweis verschenke, süßberauscht; / Voll des Weines knüpf ich kühn des Zornes Dolch / An der Liebe Weihgehenke, süßberauscht".

Geschlechtliche Liebe als Nahrung. Den Verzicht auf geschlechtliche Liebe zeichnet Heinrich Heine vom Pariser Krankenlager seiner Geliebten in Worte! Worte! als Nahrungsverzicht: "Worte! Worte! keine Taten! / Niemals Fleisch, geliebte Puppe, / Immer Geist und keinen Braten, / Keine Knödel in der Suppe!"

Liebestränke. Heinruch von Veldeke spielt in einem Liebeslied auf den Liebestrank an, den Tristan versehentlich zu sich nahm und in heftiger Liebe zu Isolde entbrannte. Er dagegen liebe die Minneherrin aus freien Stücken: "des sal mich dî gûde danc / weten dat ich nîne gedranc / sulic pîment ende ich sî minne / bat dan hê, / ende mach dat sîn." (So soll die Gnädige, mir zum Dank, / wissen, dass nie getrunken habe / solch Gemisch und dass ich sie liebe / besser als er / kann das denn sein.)

Literatur

  • Kemp, Friedhelm (Hg.): Deutsche Liebeslyrik aus acht Jahrhunderten. Zürich: Manesse, 1996 (Manesse Bibliothek der Weltlieratur)
  • Wagener, Hans: Deutsche Liebeslyrik. Stuttgart: Reclam, 1982 (Universal-Bibliothek; Nr. 7759)