Kurzprosa analysieren und interpretieren

Vorbemerkungen

Wer Kurzprosa analysiert, kann dabei den allgemeinen Regeln der Prosaanalyse folgen. Jedoch hat das Medium, in dem der Text erschienen ist, eine größere Bedeutung als bei der Analyse von Novellen und Romanen – viele Formen sind zunächst mündlich überliefert, andere sind zunächst in Kalendern und Zeitschriften erschienen. Wichtig ist auch die Berücksichtigung der Textsorte; seit André Jolles‘ Kleine Formen (1930) unterscheidet man eine Vielzahl von Gattungen und Genres. Bei der Kurzgeschichte und der Kalendergeschichte dominiert die Analyse des Erzählverhaltens; Anekdote und Witz verlangen nach einer Untersuchung des Handlungsgangs bis zur Pointe; bei Märchen, Legenden und Sagen spielt das Verhältnis der fiktiven Welt zur Wirklichkeit eine entscheidende Rolle. Fabel und Parabel verlangen vom Interpreten, dass er Bild- und Aussageebene unterscheidet, die Bildebene zu entschlüsselt und den pädagogischen Impuls des Texts herausarbeitet. Die Kürze des Texts ermöglicht eine gründliche Analyse des Aufbaus, der stilistischen Gestaltung und er Motivik. Eine Beschäftigung mit Kurzprosa sollte ganzheitlich erfolgen. Bevor sich vor allem Lyrikscheue und Lesemuffel der Kurzprosaanalyse zuwenden – eine dezente Warnung! Parabeln und Kurzgeschichten sind sprachlich oft sehr komplex und entfernen sich oft weit von bloßen Handlungsschilderungen. Es lässt sich kaum vorhersagen, welche Art von Text dem Interpreten letztlich vorgelegt wird.

Kurzprosa in der Klausur: FAQ

Warum muss man Kurzprosa überhaupt interpretieren?

Ganz vorneweg: Man muss es nicht: Du interpretierst ganz automatisch, zumindest, wenn du die Texte liest. Das methodische Interpretieren im Schulunterricht soll dir helfen, dein spontanes Deuten zu reflektieren. Du lernst, sinnvolle Deutungen von weniger sinnvollen Deutungen zu unterscheiden. Du wirst außerdem erkennen, wie Texte gestaltet sind, damit sie wirken. Letztlich musst du anderen erklären können, was du herausgefunden hast. Dazu musst du deine Aussagen begründen und belegen. Kurzgeschichten und Parabeln sind ein gutes Übungsfeld für diese Kompetenzen.

Was ist das Ziel einer Kurzprosa-Interpretation?

Eine Interpretation soll uns zum einen zeigen, was ein Text über die Welt aussagt – und wie das vermittelt. Das bedeutet: Du sollst die zentralen Aussagen festhalten: Wie sollen wir die Welt sehen? Was sollen wir dabei fühlen? Wie sollen wir uns verhalten? Kunstwerke sind Kommunikationsakte: Ein Sender (der Autor) teilt im Rahmen seines Mediums (z. B. der Parabel) einem Adressaten (dir, zum Beispiel) eine Nachricht mit (Was sollst du sehen, verstehen, fühlen, tun?). Dein Ziel ist nun, aus der Nachricht (dem Text) mögliche Aussagen zu entnehmen. Wie verstehst du den Text?

Wie finde ich heraus, ob meine Deutung stimmt?

Es gibt nicht nur eine einzige Deutung. Richtig ist, was du aus dem Text heraus widerspruchsfrei beweisen kannst. Meist ergeben sich Deutungshinweise aus dem Handlungslauf und der Perspektive. Oft enthüllt sich erst am Ende, worum es wirklich geht! Das bedeutet auch: Abweichende Deutungen sind möglich. Du kannst diese Deutungsalternativen darstellen. Achte darauf, dass deine Deutung nicht in völligem Widerspruch zum Autor steht, zur Zeitgeschichte, zur Gattung.

Soll ich den Text vollständig analysieren?

Einen Text vollständig analysieren? Vollständigkeit ist bei der Analyse nach menschlichem Ermessen nicht zu erreichen, jedenfalls nicht in wenigen Stunden. Was in entscheidend zur Deutung beiträgt, solltet ihr nicht weglassen; alles andere ist Kür. Nicht jede zufällige Alliteration lohnt den interpretatorischen Aufwand. Wichtiger ist, dass du das Funktionsgefüge darstellst: Wie hängen deine Beobachtungen zusammen?

Wie soll ich belegen?

Kurz gesagt: Jede Aussage, die dein Publikum sonst nicht zuordnen kann, musst du am Text belegen – umso mehr, wenn sie strittig ist. Oft genug genügt die Paraphrase, das indirekte Zitat („vgl. Z. 7“). Nur dann, wenn der Wortlaut entscheidend ist, dann greifst du besser zum direkten Zitat. Du findest eine Metapher? Belege! Du deutest ein Symbol? Belege! Vermeide Zitatgestrüpp und Zitatwüsten: Zitiere weder zu viel noch zu wenig!

Was ist guter Stil?

Guter Stil ist vor allem: Klarheit! Kürze! Deutlichkeit! Also: Sei klar! Ordne deine Gedanken! Dann verstehen alle, wovon du ausgehst und wo du hinwillst! Fasse dich kurz! Dann hältst du den Leser nicht auf mit Weitschweifigkeit und Wiederholung. Schreib deutlich! Verwende Fachbegriffe und begründe! Dann ist Publikum ist klar, wovon du sprichst. Außerdem: Sei höflich zum Publikum: Mach deinen Text nicht unnötig kompliziert! Dein Aufsatz soll sich flüssig lesen lassen. Lies ihn dir bei der Korrektur selbst vor: Klingt gut, was du schreibst?

Soll ich ein Konzept machen?

Aber ja! Dein Konzept sollte sich wenig an der Gliederung des Aufsatzes orientieren und in Stichwortsätzen zunächst die zentralen Befunde darstellen. Im Hauptteil geht es vorrangig um Fragen der Deutung: Was steht da? Und: Warum? Die Analyse folgt der Deutung, nicht anders herum. Zum Konzept gehört auch eine solide Zeitplanung!

Wie viele Seiten braucht es für einen guten Aufsatz?

Diese Frage lässt sich pauschal nicht beantworten. Schriftgrößen unterscheiden sich genauso wie Schreibstil und Seitenfüllung. Ein Glanzstück von fünf Seiten kann allerdings besser sein als ein dreißigseitiger Mammutaufsatz. Unterschreitest du fünf Seiten, dann hast du entweder eine mikroskopische Schrift oder eindeutig zu wenig Material. Wenn deine Einleitung eine halbe Seite einnimmt, die strukturierte Inhaltsangabe eine ganze Seite, der Hauptteil mit Erzählanalyse drei Seiten und der Schluss eine halbe Seite, dann bist du bei einer vierstündigen Klausur am unteren Rand des Feldes geblieben. Es geht nicht darum, den Leser in einer Materialflut zu ertränken, sondern ihm bei der zügigen Navigation durch den Text weiterzuhelfen.

Vorbereitung auf die Klausur

  • Die wesentliche Voraussetzung für gelungene Kurzprosa-Interpretationen ist eine aktive und aufmerksame Teilnahme am Unterricht. Klausuren werden im Unterricht vorbereitet, so lässt sich manchmal die Vorbereitung auf ein bestimmtes Genre, eine bestimmte Epoche oder einen bestimmten Autor einschränken. Abgesehen davon spart eine konsequente Mitarbeit Zeit für Recherche und Vorbereitung.
  • Hilfreich ist es auch, eine Probearbeit einzureichen und um eine Bewertung zu bitten. So erkennt man, was der Lehrer für wichtig hält, welche methodischen Ansätze er bevorzugt, welche stilistischen Vorlieben er hat.
  • Auch das Lernen von fachlichen Grundlagen ist unumgänglich. Wichtig ist die Beherrschung von erzähltechnischen Fachbegriffen und Stilmitteln. Auch eine grobe Übersicht über die gängigen literarischen Epochen (mindestens seit der Aufklärung) sollte man sich verschaffen. Zentral ist, dass man Parabeln und Kurzgeschichten erkennt, wenn sie in ihrer Reinform auftreten.
  • Einprägen sollte man sich auch, welches Aufbauschema der jeweilige Lehrer für angemessen hält. Das bevorzugte Aufbauschema ergibt sich oft entweder aus einer Checkliste oder einem Musteraufsatz.
  • Je nach dem Anspruch des Lehrers, was Kreativität im Ausdruck angeht, kann es sinnvoll sein, sich Standardformulierungen anzueignen.
  • Unbedingt sitzen sollte die Anwendung der Zitierregeln – technisch und stilistisch sollten die Zitierweise überzeugen.
  • Wer seine typischen Probleme mit Rechtschreibung und Zeichensetzung kennt, sollte sich eine Gefahrenliste zusammenstellen und die wichtigsten Kommaregeln wiederholen.
  • Strategisch günstig ist es, einen Zeitplan Normalerweise entfallen etwa 25% der Zeit darauf, den Text zu lesen, zu erschließen und die Ergebnisse im Konzept festzuhalten; 10% der Zeit benötigt man für die Einleitung; 15% der Zeit für die strukturierte Zusammenfassung, 30% für den Hauptteil, 10% für den Schluss und weitere 10% für die Überarbeitung.

Texterschließung während der Klausur

Gründliches und systematisches Arbeiten mit dem Text ist die Voraussetzung für eine erfolgreiche Interpretation. Es empfiehlt sich, schrittweise vorzugehen:

  • Textumfang ermitteln: Wie lang ist der Text? Wie muss ich meine Zeit einteilen?
  • Operatoren hervorheben: Was genau soll ich tun? In der Regel lautet die Anweisung: „Analysiere und interpretiere!“. Es ist aber auch denkbar, dass ein bestimmtes Motiv herausgearbeitet werden soll.
  • Zeilen nummerieren: Die Zeilen werden durchlaufend mit Zeilennummern versehen.
  • Kontext sichern: Wer hat den Text verfasst? Habe ich Zusatzinformationen zum Autor? Wann ist der Text entstanden? Was weiß ich über die betreffende Epoche? Wie lautet der Titel? Gibt es einen Untertitel? Welche Aussagen lässt der Titel über den Text zu? Gibt es Zusatzinformationen zum Text: Fußnoten oder Randglossen? Welche bibliographischen Informationen habe ich? Ist es eine beliebige (meist neue) Ausgabe oder die Erstausgabe, die im Grunde hier anzuführen wäre?
  • Textsorte benennen: In der Regel wird zur Interpretation entweder eine Parabel vorgelegt oder eine Kurzgeschichte, seltener eine Kalendergeschichte. Titel wie „Fabel“ und „Anekdote“ können auch auf eine Parabel verweisen. In Zweifelsfällen kann man sich mit ausweichenden Formulierungen behelfen. So könnte man schreiben, der jeweilige Text sei „eine Kurzgeschichte mit parabolischen Zügen“ oder „eine Parabel mit deutlichen Anleihen bei der Fabel“.
  • Aufbau herausarbeiten: Die Abschnitte werden am Text hervorgehoben und mit folgenden Angaben versehen: Zeilennummern von … bis …; Textbaustein: Einstieg in medias res / Exposition; Beschreibung, Handlungsbericht, Erzählerbericht; offenes Ende / geschlossenes Ende; Zeitbehandlung; Dehnung, zeitdeckendes Erzählen, Raffung, Erzählpause; Redeform: direkte Rede, Rede- oder Gedankenbericht, Stream of Consciousness, erlebte Rede. Außerdem werden Höhe- und Wendepunkte markiert. Typische Abschnittsgrenzen sind markiert durch Absätze, Tempuswechsel, Ortswechsel, Zeitsprünge, Erzählerwechsel.
  • Erzählsituation bestimmen: Nun werden kommunikative Aspekte untersucht: Welche Erzählsituation wird entworfen – die personale, die neutrale, die auktoriale? Wer spricht zu wem? Welche Haltung nimmt der Erzähler zum Erzählten ein? Ist er zuverlässig, was den Wahrheitsgehalt des Erzählten betrifft? Ist er ironisch, sentimental, satirisch, engagiert? Ist der Erzähler Teil der erzählten Welt? Wo kommentiert er, blendet er zurück, macht Vorausdeutungen?
  • Handlung und Charaktere analysieren. Welche Haupt- und Nebenfiguren lassen sich unterscheiden? Äußere Handlung; Was geschieht? Innere Handlung: Welche Motive prägen das Handeln, Denken und Sagen der Figuren? Welche Handlungsstränge lassen sich unterscheiden? Konstellation: In welcher Beziehung stehen sie zu anderen? Wie sind die Machtverhältnisse angelegt?
  • Symbolik Welche Farben, Orte, Zeichen, Zeitpunkte, Wetterlagen, Dinge und Klänge haben eine über sich selbst hinausweisende Bedeutung als Symbol?
  • Sprache, Stil und Satzbau: Welche Stilschichten weist der Text auf? Wie sind die Sätze gebaut – parataktisch oder hypotaktisch? Wo dominiert der Verbalstil, wo der Nominalstil? Ist Zeit- und Epochentypisches erkennbar? Welche rhetorischen Figuren werden eingesetzt? Mit welcher Funktion? Welche Tropen (Sprachbilder) werden eingesetzt? Mit welcher Wirkung? Warum genau diese? Gibt es Stilbrüche? Wortschatz: Wo verwendet der Autor Neologismen? Welche Rolle spielen Fachvokabular, Euphemismen oder Kraftausdrücke? Was ist erläuterungsbedürftig? Klang und Rhythmus: Wie könnte man den Erzählrhythmus beschreiben? Wo gibt es Alliterationen, Anaphern, Reime? Wird Lautmalerei eingesetzt? Wo gibt es Pausen? Welche Funktion haben sie?
  • Weltbild und Realitätsbezug Ist die Darstellung realistisch oder gibt es Einbrüche des Übernatürlichen? Ist der Text phantastisch oder grotesk?
  • Kultureller und historischer Kontext: Wie wird Bezug auf Geschichtliches genommen? Gibt es Anspielungen auf historische Ereignisse oder andere Texte? Vertritt der Autor ein bestimmtes politisches oder philosophisches Programm? Gibt es Bezüge zur Biographie des Autors? Welche Konventionen der Epoche werden beachtet oder verletzt? Was ist zur Wirkungs- oder Forschungsgeschichte bekannt?

Abfassen des Aufsatzes

Überschrift

Die Überschrift sollte zumindest den Titel und den Namen des Autors nennen, gegebenenfalls auch, um welche Art von Prosatext es sich handelt. Außerdem sollte erwähnt werden, welche Textsorte den Leser erwartet – meist ein Interpretationsaufsatz des Formats „Analyse und Interpretation“.

Interpretation eines Kurzprosatexts: Überlegungen zu Wolfgang Borcherts Kurzgeschichte „Das Brot“ (1946)

Einleitung

In der Einleitung wird der Leser zunächst mit einem Einstieg empfangen, der ein für die Deutung zentrales Zitat aus dem Text bereithält, das Thema umschreibt oder die im Text behandelte Situation kurz umreißt. Dann muss die Textsorte genannt werden, in aller Regel eine Parabel oder eine Kurzgeschichte. Legenden, Skizzen, Kalendergeschichten oder Fabeln kommen in der Schulpraxis der Oberstufe selten vor. Wichtig ist auch der Autor, dessen vollständiger Name genannt wird. Falls die Lebensdaten vorliegen, kann man sie in Klammern ergänzen. Von weiteren biographischen Details ist abzuraten, auch klischeehafte Epochenmerkmale sollte man nicht nennen. Es folgt der Titel des Texts, gegebenenfalls mit Untertitel. Das Jahr der ersten Veröffentlichung ist wichtig, weil der Text vom Zeitpunkt des Erscheinens an von der Öffentlichkeit wahrgenommen wird. Sollten weitere Umstände der Veröffentlichung wichtig sein (etwa, wenn das Werk erst posthum erschien, nach dem Tod des Autors), werden sie ebenfalls knapp ausgeführt. Auch das Medium der Erstveröffentlichung ist von Bedeutung: Wurde der Text in einer Zeitschrift publiziert? In welcher Ausgabe? In welcher Nummer? Selbstverständlich will der Leser auch erfahren, worum es geht: Es genügt, die Handlung in einem Satz zu umreißen. Allerdings sollte im Anschluss die Deutungshypothese folgen, damit der Leser weiß, mit welchem Deutungsansatz die Textvorlage untersucht wird. Bei der Parabel lassen sich schon an dieser Stelle Bild- und Sachebene unterscheiden. Ob eine Überleitung notwendig ist, hängt davon ab, welche stilistischen Vorlieben der Prüfer hat – meist wird empfohlen, darauf zu verzichten.

Brot war knapp nach dem Krieg, Hunger allgegenwärtig, die Zeiten hart. Die äußere Not stellte viele vor eine schwere Prüfung ihres Inneren. Von einer solchen Prüfung erzählt Wolfgang Borchert in seiner Kurzgeschichte „Das Brot“, veröffentlicht 13.11.1946 in der „Hamburger Freien Presse“. Ein Ehemann belügt seine Ehefrau, nachdem diese entdeckt, dass er sich nachts am spärlichen Brotvorrat des Paares bedient. Borchert arbeitet dabei heraus, wie sich beide im Widerspruch zum offen Gesagten und zur Lüge durch ihr Handeln austauschen und näherkommen.

Strukturierte Inhaltsangabe

Dieser Textteil bietet eine kurze Strukturskizze im Präsens, die sich auf die Einteilung des Texts in Abschnitte stützt und auch wesentliche Strukturmerkmale des Texts herausarbeitet (Einstieg in medias res, Exposition; Wendepunkte; offenes Ende). Wichtig ist hier, zur Orientierung des Lesers zunächst anzugeben, wie viele Abschnitte unterschieden werden können. Nach der Reihe folgen nun die einzelnen Abschnitte. Sie sind zu benennen: „Im ersten Abschnitt…“, „Der zweite Abschnitt…“. Damit der Leser den Umfang der jeweiligen Abschnitte nachvollziehen kann, sollte man in Klammern Anfangs- und Schlusszeile angeben: „Im ersten Abschnitt (Z. 1-5)…“. Abschnittsweise berichtet man nun, was geschieht und arbeitet die Bedeutung für den Handlungsgang heraus. In die strukturierte Inhaltsangabe sollten die Bauteile der Handlung erwähnt werden (Einstieg in medias res, Dialog) und ihre Funktion im Text dargestellt werden. Ferner finden hier Angaben zur Zeitbehandlung ihren Platz, gegebenfalls auch Ortswechsel und Zeitsprünge, aber auch auffällige Änderungen im Erzählverhalten.

Borcherts Kurzgeschichte lässt sich in drei Abschnitte einteilen. Sie beginnt mit einem Einstieg in medias res (Z. a-b): Eine Frau erwacht von einem Geräusch in der Küche auf und stellt fest, dass ihr Mann nicht mehr im Bett liegt und geht zur Küche. Hier setzt der zweite Abschnitt ein und führt die Handlung zum Wendepunkt: (Z. c-d): Sie erblickt ihren Mann, er sich offenbar ein Stück Brot abgeschnitten hat. Der Mann leugnet dies. Seine Ehefrau ist sich der Lüge bewusst, spricht sie aber in einer längeren Dialogsequenz (Z. e-f) nicht an. Nachdem die das Paar ins Bett zurückgekehrt ist, hört sie ihn erneut kauen. Der dritte Abschnitt ist durch einen Zeitsprung abgeteilt (Z. g-h): Am nächsten Abend legt die Frau aus Mitleid und unter dem Vorwand, sie könne das Brot nicht vertragen, eine ihr zustehende Brotscheibe auf den Teller ihres Mannes. Beide vermeiden zunächst den Blickkontakt, doch nach einer Weile, dies ist das offene Ende der Erzählung, setzt sich die Frau zu ihrem Mann an den Tisch.

Hauptteil

Erzählanalyse

Den Einstieg in den Hauptteil liefert die Erzählanalyse, die knapp die Erzählsituation darstellt: Wer erzählt? Wie steht er zur Handlung? Um welche Erzählsituation handelt es sich? Wie ist die Zuverlässigkeit des Erzählers zu bewerten? Welche Erzählhaltung dominiert? Welche Redeform wird eingesetzt?

„Das Brot“ wird von einem personalen Erzähler entwickelt, der sich zweier Perspektivfiguren bedient; der Leser erfährt sowohl die Gedanken des Mannes als auch die seiner Ehefrau in erlebter Rede. Er taucht in die geschilderte Situation ein und verliert die Distanz zur Handlung.

Analyse und Interpretation

Im Hauptteil, der durch die intensive Texterschließung vorbereitet wird, ist entweder textsukzessive (vom Anfang zum Ende) oder aspektgebunden (erst die Raumgestaltung, dann die Zeitgestaltung etc.) vorzugehen. Es empfiehlt sich, die Ergebnisse stets auf die zentrale Deutungshypothese zu beziehen, damit der Leser dem Gang der Darstellung besser folgen kann. Ferner ist wichtig, dem Wortlaut des Texts zu folgen und die Befunde am Text zu belegen. Die Beobachtungen, die man am Text macht und nachvollziehbar belegt, müssen ergiebig ausgewertet werden. Dazu gehört die präzise Benennung der Stilmittel und Angaben zu ihrer Funktion. Damit die Einzelbefunde nicht im luftleeren Raum bleiben, muss der Interpret ihre Bedeutung für die Textstelle und den Gesamttext herauszuarbeiten (also das tun, was der Begriff Interpretation nahelegt).

Schon die ersten Sätze zeigen in ihrer atemlosen Kürze, welch beklemmende Situation sich im Verlauf der Handlung entwickeln wird. Die Protagonistin ist nicht namentlich eingeführt, sie bleibt eine „sie“. Das verringert die Distanz des Lesers zur Hauptfigur. Ferner erlebt der Leser das erschreckte Aufwachen der Frau mit; ohne Umstände und weitere Einführung wirft ihn der Einstieg in die Mitte der Handlung: „Plötzlich“ (Z. 1), das Modaladverb steht hier auffällig am Satzanfang, erwacht die Frau. Die anschließende Pause ermöglicht dem Leser, […]

Schluss

Im Schluss soll zunächst überprüft werden, inwiefern die Eingangshypothese modifiziert werden könnte: Was wird außerdem noch gezeigt? Gibt es abweichende Lesarten? Außerdem kann dargelegt werden, inwiefern der Text in seine Zeit gehört (Epoche). Damit liegt nahe, dass man zusätzlich prüft, worin die Aktualität des Texts liegt. Der Umgang des Autors mit den Gattungsmerkmalen kann ebenfalls skizziert werden: Inwiefern handelt es sich um eine ganz charakteristische Parabel, inwiefern weicht die Kurzgeschichte vom Schema ab? Unbedingt zurückhalten sollte man sich mit Geschmacksurteilen und anderen Wertungen. Dennoch kann der Text kritisch bewertet werden: Erreicht er sein Ziel? Warum? Warum nicht? Insbesondere soll aber die Bedeutung des Texts für den Leser herausgearbeitet werden: die jeweils zentralen Aussagen, unter Umständen auch die im Text angelegten Hinweise zur Lektüre. Bei Parabel und Kurzgeschichte lässt sich oft zeigen, welches Weltbild entworfen wird. Handelt es sich um eine Kurzgeschichte, dann ist interessant, wie sich der Protagonist in dieser Welt bewegt, wie er auf sie reagiert und was daraus für den Leser folgt. Bei der Parabel sollte man nachweisen, welche Haltung oder welches Handeln sie dem Leser nahelegt.

In „Das Brot“ geht es zwar auch um Lüge und verdeckte Kommunikation, allerdings steht die gestische Versöhnung im Vordergrund. Am Ende sitzen beide wieder an einem Tisch. Damit ermöglicht Borchert dem Leser einen Ausgleich zur vielfach gebrochenen Realität der Nachkriegszeit, zur gescheiterten Persönlichkeit der Trümmerliteratur. Aktuell ist der Text nach wie vor: Sprachlosigkeit muss noch nicht das Ende einer Beziehung bedeuten, wenn die Bereitschaft besteht, sich ohne Worte auf einander einzulassen. Die Kurzgeschichte erscheint als ein geeignetes Medium, diese Botschaft zu übermitteln: Der Alltagsbezug und die Kürze des Texts erleichtern es dem Leser, die Handlung nachzuvollziehen und auf sich wirken zu lassen. Allein das dialektale „man“ in er Anrede wirkt heute befremdlich. „Das Brot“ ist als Beziehungsstudie zu lesen – als Studie einer möglicherweise noch zu rettenden, aber durch äußere Umstände und den Mangel an Ehrlichkeit gefährdete Beziehung.

Beispiel: Wolfgang Borchert: „Die Katze war im Schnee erfroren“

Dieser Erwartungshorizont bietet keine vollständige Übersicht aller denkbaren Ergebnisse. Hier sind nur zentrale Ergebnisse versammelt, die zu einer schlüssigen Interpretation beitragen. Der Schwerpunkt liegt auf dem fachlichen Ertrag. Übergeordnete Kriterien sind nicht berücksichtigt: Belegtechnik, Stil, Sprache, Geschlossenheit und Argumentation. Überprüfen Sie nach der Erschließung des Texts an Ihrem Konzept, ob Sie zu vergleichbaren Ergebnissen gekommen wären! Der zu untersuchende Text ist hier zu finden.

Einleitung

  • Interpretation einer Kurzgeschichte: „Die Katze war im Schnee erfroren“ von Wolfgang Borchert
  • Der Krieg kennt nur Opfer – denn auch die Täter sind Opfer.
  • Diese Mahnung formuliert Wolfgang Borchert
  • in seiner Kurzgeschichte „Die Katze war im Schnee erfroren“,
  • die 1947 bei Rowohlt in Hamburg und Stuttgart erschien.
  • Sie entstammt dem Sammelband „An einem Dienstag“.
  • Borchert zeigt darin, welches Leid leichthin befohlene Untaten bei den Opfern auslösen – und welche Folgen sie langfristig auch für die Täter haben.

Strukturierte Inhaltsangabe

  • Der Text beginnt mit einer Exposition, die Ort, Zeit und die handelnden Personen benennt.
  • Der erste Abschnitt spielt im Krieg. Der Erzähler schildert eine Szene in einem zerstörten Dorf; der Blick schwenkt hinüber von den wegziehenden Soldaten zu den Bewohnern des Dorfes zwischen ihren brennenden Häusern.
  • Der Abschnitt ist – wie die folgenden - ein Erzählbericht.
  • Es wird dehnend erzählt. Auch die Zeitgestaltung überträgt sich auf alle weiteren Abschnitte.
  • Ein Ortswechsel führt den Leser zu einem benachbarten Dorf, dem der Überfall noch bevorsteht.
  • Den dritten Abschnitt eröffnet ein weiterer Ortswechsel, der zugleich eine Rückblende bietet. Nun entsteht eine Szene im Quartier des Generalstabs. Ein Schlachtplan wird erstellt, der schließlich zum Überfall auf das erwähnte Dorf führt.
  • Ein Zeitsprung führt in den vierten Abschnitt.
  • „Männer“ (Z. 23), wohl die Soldaten aus dem ersten Abschnitt, machen einen abendlichen Spaziergang. Offenbar können sie die Bilder ihrer Kriegserlebnisse nicht abschütteln.
  • Ein erneuter Ortswechsel kehrt im vierten Abschnitt zu einem der zerstörten Dörfer zurück. Kinder spielen mit Holz und Knochen.
  • Der Text endet pointiert: Er offenbart, dass es sich beim Trommelstab der Kinder um einen Katzenknochen handelt.

Erzählanalyse

  • Der Erzähler ist auktorial. Er kann erzählen, was an unterschiedlichen Orten und zu unterschiedlichen Zeiten geschieht.
  • Er beansprucht jedoch nicht, allwissend zu sein, was man daran erkennt, dass er nur berichtet, was „vielleicht“ geschieht (Z. 16)
  • Die Unbestimmtheit im Ausdruck und die Einfachheit der Sprache lassen den Erzähler naiv wirken, was die Wirkung des Grauens noch verstärkt.
  • Zu diesem Eindruck tragen auch Anaphern und Aufzählungen bei.

Hauptteil

  • Borcherts Stil ist überwiegend parataktisch.
  • Ellipsen wie „Ganz weit ab“ (Z. 22) lassen den Text wie eine mündliche Erzählung wirken.
  • Der Erzähler lässt die Szene zunächst friedlich erscheinen: Nicht näher bestimmte Männer gehen summend durch die Straßen eines Dorfs.
  • Erst nach und nach enthüllt der Erzähler, dass es sich um eine Kriegsszene handelt: Das Dorf steht in Flammen.
  • Die Formulierung „[d]er Schnee schrie“ ist eine Personifikation, die das Grauen des mutmaßlich Vorgefallenen zum Ausdruck bringt.
  • Die Dorfbewohner betrachten Ikonen, die als „hölzerne Bilder“ beschrieben werden. Die Austattung der Bilder „in gold und silber und blau“ steht im Kontrast zur weiß-roten Wirklichkeit des Dorfs.
  • Im zweiten Dorf wird deutlich, dass die Bewohner und ihre Tiere den bevorstehenden Angriff bereits ahnen: Die Dörfler sehen einander an (vgl. Z. 15) und nicken einander zu (vgl. Z. 16), die „Tierre bums[en]“ gegen die Stallwand“ (Z. 16).
  • Die Wiederholung des Verbs „brannten“ betont die Dauer und Bedeutung des Vorgangs.
  • Der Neologismus „mondhell“ verstärkt die Wirkung des Bildes vom nächtlich daliegenden Schnee.
  • Die Farbe Weiß dient dabei als Kontrast zum Rot des Feuers und des Bluts.
  • Es handelt sich um eine Symbolfarbe – weiß ist die Farbe der Unschuld.
  • Im Hauptquartier fällt auf, wie beschaulich die Szene wirkt: Leicht wirken die Vorbereitungen zum Angriff – eine Linie wird gezogen, ein Anruf getätigt.
  • Umso brutaler wirkt im Gegensatz dazu die knapp geschilderte Zerstörung des Dorfs mit den „den frierenden schreienden Katzen im rosanen Schnee“ (Z. 20).
  • Die äußere Ferne des Krieges steht im Zusammenhang mit der inneren Distanz der kahlköpfigen Feldherren zu der Zerstörung, die sie anrichten.
  • Der Gesang eines Mädchens, wohl eine Aufnahme, verschärft diesen Gegensatz noch.
  • Es liegt nahe, in den „Männern“ der sich anschließenden Frühlingsszene Soldaten zu vermuten – vermutlich dieselben, die im ersten Abschnitt als Täter geschildert werden: Auch sie summen, auch sie sind auf der Straße unterwegs.
  • Das Rot der untergehenden Sonne ruft Erinnerungen an den Krieg und den „rosanen Schnee“ (Z. 27) wach.
  • Der Erzähler betont in einer Vorausdeutung, dass sie diese Erinnerungen „nie wieder“ loswerden.
  • Mit der Schilderung eines Kinderspiels kehrt der nächste Abschnitt ins „halb[e] Dorf“ zurück, das der Krieg übriggelassen hat. Er zeigt die Folgen des Krieges im Kontrast zum Spiel der Dorfkinder.
  • Kinder spielen mit Kohle und Knochen – sie haben das Grauen nicht erlebt. Dennoch ist der Krieg allgegenwärtig: Im lautmalerisch geschilderten Trommelschlag, der an Beschuss erinnert, im Trommelschlegel und im verkohlten Holz.
  • Die Pointe, die den Trommelschlegel als Katzenknochen offenbart, ruft die Katzen aus dem ersten Abschnitt zurück: Sie sind das Symbol vergehender Zeit und zugleich eines unvergessenen Grauens.

Schluss

  • Borcherts Kurzgeschichte zeigt dreierlei: Zum einen wird deutlich, welche Zerstörungen der Krieg bei seinen Opfern hinterlässt. Zum anderen wird klar, dass auch die Täter traumatisiert sind. Zum dritten zeigt Borchert, wie ungerührt die Generalität die Zerstörung befiehlt.
  • Einfühlung in die traumatisierten Soldaten und die geschädigten Dorfbewohner weckt Mitgefühl; dieses Mitgefühl wirkt gegen Propaganda und macht den Leser unempfindlich gegen Kriegshetze.
  • Damit erweist sich Borchert als Pazifist. Die Schilderung der Kriegsgräuel dient vor allem dazu, neues Leid zu verhindern.
  • Borcherts Kurzgeschichte erschien 1947, der Krieg ist gerade zwei Jahre vergangen, Europa liegt in Trümmern. Borcherts Mahnung trifft auf ein Publikum, das einerseits nichts mehr wissen will vom Krieg, andererseits die Kriegsfolgen vor Augen hat.
  • Wie andere seiner Kurzgeschichten macht „Die Katze war im Schnee erfroren“ mit wenigen Strichen, in knappen Worten und mit gellen Bildern klar, dass Krieg kein Militärtheater sondern blutige Realität ist – eine Wirklichkeit, die wir verhindern können.