Karl Mayer in Winnenden

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Bild: Friedrich Brandseph: Karl Mayer, Porträtfoto, vor 1861

Karl Mayer kam 1786 in Neckarbischofsheim zur Welt. Sein Vater, Friedrich Christoph Mayer (1762–1841), war Amtmann in Bischofsheim, seine Mutter Johanna Henriette Friederike (1762–1820) entstammte der Stuttgarter Honoratiorenfamilie Hartmann. Nach dem Schulbesuch in Stuttgart, wo er bei den Großeltern Hartmann lebt, nimmt Karl Mayer ein rechtswissenschaftliches Studium in Tübingen auf. Dort trifft er auf Ludwig Uhland und Justinus Kerner. Nach Abschluss des Studiums unternimmt er Reisen i an die Ostsee, ins Fichtelgebirge und nach Prag. 1809 wird er zunächst Advokat in Heilbronn, wo er bis 1817 bleibt. Weitere Stationen sind Schlesien, Mähren und Österreich, Ulm und Esslingen. 1824 wird er zum Oberamtsrichter in Waiblingen ernannt und ist damit Oberjustizrat. Für Waiblingen wurde er 1833 in die württembergische Abgeordnetenkammer gewählt. Seit 1838 unterhält er einen fortdauernden Briefwechsel mit Mörike, der wie Mayer, Uhland und Lenau zum Opfer von Heines Schwabenspiegel (1838) geworden war. Seiner liberalen Gesinnung wegen wurde Mayer erst 1843 zum wirklichen Oberjustizrat befördert und an den Gerichtshof des Schwarzwaldkreises in Tübingen versetzt, wo er im Spätherbst 1844 von Lenaus Erkrankung erfährt. Mayer steht im Briefwechsel mit Lenaus Schwager Schurz, mit dem ihn Hoffnungen auf die baldige Genesung verbinden. Beide werden enttäuscht: „Doch ach, wie bald finden wir den Unglücklichen zwischen den vier Wänden seiner Tobzelle in Winnenthal“ (Mayer, Lenau, S. 190). Am 15.11. berichtet Schurz, Lenau wünsche sich Briefe, die er von Uhland und Mayer erhält. Am 30.9. des folgenden Jahres schreibt Kerner aus Winnenden und berichtet von Lenaus Zustand. Im August 1846 kommt Mayer schließlich nach Winnenthal, wo ihn Hofrat Zeller empfängt und auf Lenaus kahle Stube bringt. Dieser sitzt mit ausgestreckten Beinen auf dem Bett und löffelt Milch. Mayers freundschaftlichere Annäherung weist er brüsk zurück. Lenau ist offenkundig im Wahnzustand, vermeidet Blickkontakt und versucht zu fliehen. Der erschütterte Mayer verlässt Lenau und geht in den Anstaltsgarten hinunter. Zeller macht Lenau nun in einem klaren Moment Vorhaltungen, er habe sich von Mayer nicht verabschiedet. Daraufhin ist Lenau offenbar halbwegs klar und verabschiedet sich von Mayer: „Lieber Mayer! Ich werde hier genesen; dann werde ich zu Dir und dem Uhland nach Tübingen kommen“ (Mayer, Lenau, S. 199). Lenaus Seele verdunkelt sich wieder, er lobt das gute Essen in der Anstalt und stammelt Unverständliches; nach einem herzlichen Abschied kommen Mayer die Tränen. Lenau sieht er nicht wieder.

Mayers Winnenden-Epigramm

Karl Mayer: Auf ein Städtchen

Wer hat’s dem Städtchen angethan?
Es hegt so manchen Kaliban!

Kontext und Entstehung

Auf ein Städtchen gehört in einen Zyklus, den der damals geschätzte Naturlyriker Karl Mayer aus Reise-Epigrammen zusammengestellt hat. Das erste Stück widmet er Stuttgart, das zweite behandelt Die Post in Besigheim. Es folgt das Winnenden-Epigramm, Freudenstadt und Gemmrigheim schließen sich an. Der Text ist in die Abteilung der Gedichte aus den Jahren 1847 bis 1848 eingeordnet. Bei der Zusammenstellung der 3. Auflage seiner Texte wurde Mayer von Eduard Mörike beraten, der Mayers Lyrik zunächst skeptisch aufgenommen hatte.

Bezug zu Winnenden

Lenau hatte Karl Mayer erstmals Anfang 1832 in Waiblingen besucht und dann erneut vom 1.-3.8.1833. Auch im Mai 1834 hält sich Lenau in Waiblingen auf, um sich im damaligen Bäderort Neustadt zu kurieren. Am 22. August 1846 besuchte Karl Mayer den Freund in Winnenthal. 1853 erschienen Karl Mayers Briefe an einen Freund; dort legt Mayer den Briefwechsel mit Lenau dar und mit gemeinsamen Freunden, auch während Lenaus Zeit in Winnenthal.

Interpretation

Der Zweizeiler in jambischen Viertaktern beginnt mit einer rhetorischen Frage – der Sprecher fragt: „Wer hat’s dem Städtchen angethan?“ (Z. 1). Damit ist die Folgezeile als Erklärung dafür anzusehen, weswegen überhaupt das namenlose Städtchen so zu leiden hat: „Es hegt so manchen Kaliban!“ (Z. 2). Die Kenntnis der Dramen Shakespeares darf vorausgesetzt werden; an anderer Stelle widmet Mayer dessen Hamlet ein Gedicht. Caliban ist der wilde Naturmensch, der in Shakespeares The Tempest unter dem Einfluss Prosperos steht, der ihn misshandelt (III, 2). Bekannt ist Caliban vor allem durch einen Monolog, den Karl Mayer als Hinweis verstanden haben könnte - auf den Wechsel von Umnachtung und lichten Augenblicken, wie er sie bei Lenau erlebt hat: „and sometime voices / That, if I then had waked after long sleep, / Will make me sleep again: and then, in dreaming, / The clouds methought would open and show riches / Ready to drop upon me that, when I waked, / I cried to dream again.“ Wenn der Text zwischen 1847 und 1848 entstanden ist, dann ist denkbar, dass er damit auf seine Erfahrungen in Winnenden Bezug nimmt.

Ergänzende Materialien

Aus: Heinrich Heine: Der Schwabenspiegel, 1838

Herr Karl Mayer, welcher auf Latein Carolus Magnus heißt, ist ein anderer Dichter der schwäbischen Schule, und man versichert, daß er den Geist und den Charakter derselben am treuesten offenbare; er ist eine matte Fliege und besingt Maikäfer. Er soll sehr berühmt sein in der ganzen Umgegend von Waiblingen, vor dessen Toren man ihm eine Statue setzen will, und zwar eine Statue von Holz und in Lebensgröße. Dieses hölzerne Ebenbild des Sängers soll alle Jahr mit Ölfarbe neu angestrichen werden, alle Jahr, im Frühling, wenn die Gelbveiglein düften und die Maikäfer summen. Auf dem Piedestal wird die Inschrift zu lesen sein: „Dieser Ort darf nicht verunreinigt werden!“

Nikolaus Lenau: An Karl Mayer; Entstehungszeit unbekannt, Erstdruck 1853

Tust du nur einen Saitengriff,
So fängt der Hund zu heulen an;
Daß sie sein Ohr nicht feiner schliff,
Hat ihm die Schöpfung angetan;
Drum, wenn dein Lied die Schöpfung preist,
Gib acht, daß dich der Hund nicht beißt.

Verweise

Literatur

  • Mayer, Karl (Hg.): Nicolaus Lenau’s Briefe an einen Freund, herausgegeben mit Erinnerungen an den Verstorbenen. Stuttgart: Mäcken, 1853
  • Zeller, Bernhard: Literatur und Geselligkeit: Karl Mayer und seine Freunde [Ludwig Uhland, Justinus Kerner, Nikolaus Lenau, Eduard Mörike, Ludwig Bauer u.a.]. In: Waiblingen in Vergangenheit und Gegenwart : Beiträge zur Geschichte der Stadt ; Schriftenreihe des Heimatvereins Waiblingen e.V., Gesellschaft für Stadt- und Kunstgeschichte - 5 Bd. 5 (1977), S. 97-116
  • Mayer, Karl: „Und wer weiß, wann wir ihn dann wieder sehen“: Nikolaus Lenaus Aufenthalt bei Karl Mayer in Waiblingen, Anfang April 1832. Ein unbekannter Brief von Karl Mayer an seinen Bruder Ludwig [vom 4.4.1832]. In: Jahrbuch des Wiener Goethe-Vereins - 97/98 (1993/94), S. 269-277

Internetquellen