Inszenieren unter Prüfungsbedingungen

Zwei Wochen vor der Aufführung erhältst du die Aufgabe zu deiner Inszenierung. Du hast dich bereits mit dem Textkonvolut vertraut gemacht und dazu recherchiert. Nun kommt die Hauptaufgabe auf dich zu: Der Text soll inszeniert werden!

Die Aufgabe verstehen

Wenn sich dein Prüfer an den Beispielaufgaben orientiert, dann wird die Aufgabe zum Beispiel so lauten:

  • Gestalten Sie auf der Grundlage des Gedichts eine Szene. Nutzen Sie dabei unter anderem Möglichkeiten des Spiels mit Requisit.
  • Gestalten Sie auf der Grundlage des Textes „Zugauskunft“ von Peter Handtke eine Szene. Nutzen Sie dabei insbesondere Mittel der Zeit- und Raumgestaltung.
  • Gestalten Sie eine Szene, in deren Mittelpunkt Ophelia aus „Hamlet“ steht. Erproben Sie im Gestaltungsprozess die Wirkungsmöglichkeiten der Arbeit mit Rollenbiographien.
  • Gestalten Sie auf der genannten Grundlage der Textstelle aus „Tschick“ eine Szene. Wenden Sie dabei Mittel des Schauspiels nach Stanislawski oder des Epischen Theaters oder performative Mittel an.

Dir fällt auf:

  • Eine „Szene gestalten“ musst du immer.
  • Außerdem wird eine Textgrundlage Das kann ein Gedicht sein, eine Kurzgeschichte, ein Romanauszug oder eine Dramenstelle (Monolog oder Dialog).
  • Dann wird noch ein Schwerpunkt gesetzt, indem ein bestimmtes Ausdrucksmittel benannt wird, eine dramaturgische Methode oder ein theatertheoretisches Prinzip.

Nehmen wir einmal an, deine Aufgabe lautet so:

Kontextualisierung

„Leonce und Lena“ ist ein Dreiakter von Georg Büchner, dessen unbestrittene Hauptfigur der faule und vor allem heiratsunwillige Prinz Leonce ist. Stellen Sie sich vor, Sie wollen den folgenden Monolog in einer Schulaufführung auf die Bühne bringen, um Leonce für das Publikum zu charakterisieren. Sie werden außerdem gebeten, Requisiten einzusetzen.

Aufgabenstellung

Gestalten Sie auf der genannten Grundlage des Eingangsmonologs aus „Leonce und Lena“ eine Szene. Nutzen Sie dabei unter anderem Möglichkeiten des Spiels mit Requisit.

Textgrundlage

Georg Büchner: Leonce und Lena (Reclamausgabe)

Organisatorischer Rahmen

Dauer der Darstellung: ca. 10 Minuten

Technische Bühnenausstattung: nach Rücksprache

Form: Einzelprüfung

LEONCE. Mein Herr, was wollen Sie von mir? Mich auf meinen Beruf vorbereiten? Ich habe alle Hände voll zu tun, ich weiß mir vor Arbeit nicht zu helfen. – Sehen Sie, erst habe ich auf den Stein hier dreihundertfünfundsechzigmal hintereinander zu spucken. Haben Sie das noch nicht probiert? Tun Sie es, es gewährt eine ganz eigne Unterhaltung. Dann – sehen Sie diese Handvoll Sand? Er nimmt Sand auf, wirft ihn in die Höhe und fängt ihn mit dem Rücken der Hand wieder auf. – Jetzt werf ich sie in die Höhe. Wollen wir wetten? Wieviel Körnchen hab ich jetzt auf dem Handrücken? Grad oder ungrad? – Wie? Sie wollen nicht wetten? Sind Sie ein Heide? Glauben Sie an Gott? Ich wette gewöhnlich mit mir selbst und kann es tagelang so treiben. Wenn Sie einen Menschen aufzutreiben wissen, der Lust hätte, manchmal mit mir zu wetten, so werden Sie mich sehr verbinden. Dann – habe ich nachzudenken, wie es wohl angehn mag, daß ich mir auf den Kopf sehe. O, wer sich einmal auf den Kopf sehen könnte! Das ist eins von meinen Idealen. Mir wäre geholfen. Und dann – und dann noch unendlich viel der Art. – Bin ich ein Müßiggänger? Habe ich jetzt keine Beschäftigung? – Ja, es ist traurig ...

Deine Bearbeitung der Aufgabe

Was musst du tun?

Deine Aufgabe umfasst, unabhängig von der konkreten Zielsetzung, immer drei Bereiche:

  • Dramaturgie, deine Arbeit am Text,
  • Inszenierung, deine szenische Umsetzung des Texts unter Einbeziehung theatraler Mittel,
  • Schauspiel, dein persönliches Wirken auf der Bühne.

Alle Bereiche deiner Aufführung können vom inhaltlichen Rahmen der Aufgabe beeinflusst sein. Wenn du im Sinne Brechts inszenierst, kommt etwas anderes heraus, als wenn du dich an Stanislawski orientierst.

Dramaturgische Aufgaben

Sobald der Text dir vorliegt, musst du einige Entscheidungen treffen:

  • Was ist das zentrale Thema deiner Vorlage? Willst du dieses Thema in allen Elementen deines Stücks aufscheinen lassen?
  • Was ist deine Botschaft und Inszenierungsidee? (Sie kann auch abweichen von der ursprünglichen Aussage des Texts!) Was kritisierst du? Was forderst du?
  • Welche Wirkung strebst du an? Willst du unterhalten, amüsieren, rühren, schockieren?
  • Welche Inszenierungsart schwebt dir vor: Werkgetreu oder frei? Klassisch oder modern?
  • Bietet sich eine Strichfassung an? Möchtest du also Text wegstreichen?
  • Wo spielst du mit Klischees? Wo durchbrichst du Klischees?
  • Willst du den Text ergänzen oder vereinzelte Textelemente als Leitmotiv wiederholen?
  • Möchtest du transponieren? Bedienst du dich also eines anderen Stils oder verwendest eine andere Varietät (z. B. Jugendsprache, Dialekt, Fremdsprache)? Willst du aktualisieren? Willst du eine Versfassung zum Prosatext auflösen oder einen Prosatext versifizieren?
  • Welche Handlungsstruktur legt der Text nahe? In wie viele Einzelszenen soll der Text aufgeteilt werden?
  • Wie viele Rollen müssen besetzt werden? Spielst du sie selbst oder musst du eine weitere Person einbeziehen? Willst du Figuren aufspalten oder mehrere Figuren zusammenlegen?
  • Welche Bedeutung soll Status im Stück haben?

Was die Struktur des Stücks angeht, hast du verschiedene Möglichkeiten:

  • Dein Stück sollte eine klare Handlungsstruktur haben – sie kann dreiteilig sein (Eröffnung, Höhepunkt, Ende) oder fünfteilig (Exposition, steigende Handlung, Peripetie oder Schicksalswende, Verzögerung, Ende).
  • Es kann sinnvoll sein, Anfang und Ende durch eine dramaturgische Klammer zu verbinden.
  • Auch Kontraste können helfen, das Stück zu strukturieren: Helligkeit und Dunkelheit, Dynamik und Statik…!
  • Der Anfang sollte unmittelbar wirken und den Zuschauer ins Stück hereinziehen!
  • Beachte, dass du Spannung aufbaust!
  • Die Beweggründe der Figuren müssen deutlich werden!
  • Das Ende des Stücks muss klar zu erkennen sein!

Aufgaben aus dem Bereich der Inszenierung

Im Bereich der Inszenierung sind für dich die wesentlichen theatralen Ausdrucksträger von Bedeutung – das sind vor allem Elemente der Ausstattung, aber auch der Raum der Aufführung selbst ist von Bedeutung.

  • Stimmung und Atmosphäre: Welche Stimmung und Atmosphäre soll dein Stück haben?
  • Raum: Welche Form soll deine Bühne haben? Wie teilst du den Bühnenraum auf? Wie willst du die Bühne vom Zuschauerbereich abgrenzen? Hier kann Kreppband hilfreich sein! Wie willst du die Wege auf der Bühne gestalten? Welche Bedeutung haben Enge und Weite auf der Bühne?
  • Zeit: Wo willst du Standbilder oder Spiel in Zeitlupe einsetzen?
  • Kulisse: Wie willst du den Raum gestalten? Brauchst du Kulissen, Banner, Tücher?
  • Beleuchtung: Lässt sich der Raum verdunkeln? Wenn ja, wie willst du die Beleuchtung einsetzen? Sind Beleuchtungsrichtung und Farbe für das Stück von Bedeutung?
  • Requisiten: Welche Requisiten willst du einsetzen? (Nicht zu viele!) Woher nimmst du sie, was geschieht damit, wenn du sie bespielt hast?
  • Maske: Willst du eine Maske einsetzen? Ist eine Schminkmaske vorgesehen?
  • Kostüm: Bietet sich eine Kostümierung an? Was fügt sie der Handlung hinzu?
  • Akustik: Welche Klänge oder Geräusche werden wichtig sein? Brauchst du Musik auf der Bühne oder Musikbegleitung aus dem Bühnenhintergrund?
  • Publikum: Spielst du mit dem Publikum oder vor dem Publikum?
  • Sonderformen: Willst du Elemente des Figuren- oder Schattentheaters aufgreifen?
  • Medien: Wo möchtest du Plakate oder Projektionen verwenden?

Schauspielerische Aufgaben

Zu den genuin schauspielerischen Aufgaben gehört alles, was zu deiner Interpretation der Rollen im Stück beiträgt. Aus der Rolle fallen solltest du nicht (das ist eine Frage der Rollendisziplin), du kannst aber aus der Rolle treten.

  • Schauspielkonzept: Du kannst deine Rolle ausfüllen, dich ergreifen lassen und die Rolle voll ausspielen (wie beim Method Acting) oder ein distanziertes, vorzeigendes Schauspielern bevorzugen (wie im Epischen Theater).
  • Rolle: Wer bin ich in welcher Rolle? Zur Einfühlung in die Rolle kannst du dich auf eine Rollenbiografie stützen oder auf einen Rollensteckbrief. Hilfreich sind auch Stanislawskis W-Fragen: Wer bin ich? Was tue ich? Wo befinde ich mich? Warum tue ich dies? Was tat ich vorher? Wohin werde ich gehen? Wie fühle ich mich dabei?
  • Theaterkulturen: Willst du Elemente aus anderen Theaterkulturen verwenden, aus dem japanischen Nô-Theater oder aus der Commedia dell’arte?
  • Choreographie: Wo könnten tänzerische Elemente deinem Stück guttun?
  • Mimik: Wo willst du mimische Akzente setzen? Ein wichtiges Gestaltungsmittel ist vor allem der Blick.
  • Gestik: Welche symbolischen oder illustrierenden Gesten brauchst du? Wo verwendest du stilisierte Gesten (Gebärden), wo willst du naturalistisch arbeiten?
  • Proxemik: Wo wirst du Nähe schaffen und wo ist Distanz angemessen? Wie sehr willst du dich dem Publikum annähern?
  • Stimme: Welche stimmlichen Merkmale wirst du in den Vordergrund stellen? Wo soll laut oder leise, deutlich oder undeutlich gesprochen werden?
  • Sprache: Wo sprichst du? Wo schweigst du? Welche sprachlichen Besonderheiten sind wichtig? Wo möchtest du Pantomime einsetzen?
  • Atem: Willst du deinen Atem als Gestaltungsmittel einsetzen?

Zum Beispiel: Büchners Leonce und Lena

Deine Aufführung soll ein junges Publikum („Schultheater“) für Büchners Figur Leonce aus dem Dreiakter „Leonce und Lena“ gewinnen. Dabei sollst du ein Requisit einsetzen.

Dramaturgie

  • Thema: Der Monolog spielt mit dem Thema Müßiggang. Leonce erscheint dabei als philosophischer Faulpelz. Kern der Szene ist zum einen seine Untätigkeit, zum anderen, dass er geistreich darüber redet.
  • Wirkung: Du willst Leonce als sympathischen Nichtsnutz einführen und das Publikum zum Lächeln bringen.
  • Rollen: In Büchners Stück spricht Leonce zum Hofmeister, der aber höchstens mimisch oder gestisch darauf reagiert. Nehmen wir an, du willst auf weitere Rollen verzichten. Dann kannst du entweder das Publikum ansprechen oder ein Dekorationselement (z. B. einen Garderobenständer).
  • Text: Auf Streichungen verzichtest du weitgehend, damit die Szene ihre volle Breite entfaltet und Leonces Wortreichtum zur Geltung kommt.

Inszenierung

  • Bühnenbild: Der Regieanweisung entnimmst du, dass Leonce sich in einem Garten befindet, sich „halb ruhend auf einer Bank“ ausstreckt. Wenn du eine Bank improvisieren möchtest, reichen dafür drei Stühle; eine Vase mit Blumen könnte ebenso die Gartenszene verdeutlichen wie Vogelgeräusche aus dem Hintergrund.
  • Kostüm: Als Prinz ist Leonce durchaus in höfischer Manier, dabei aber nachlässig gekleidet.
  • Maske: Auf eine Hohlmaske verzichtest du, lässt Leonce aber eine schwarze Träne auf die Wange schminken und die Mundwinkel verlängern, um seine melancholisch-ironische Haltung anzudeuten.
  • Requisit: Zu seinen Füßen befindet sich, zum Publikum hin, ein Haufen Sand. Dieser Sand ist das wichtigste Requisit. Du könntest ihn aber auch an einer Blüte riechen lassen und die Blütenblätter abzupfen.

Schauspiel

  • Dynamik: Vorausgesetzt, du willst die Szene werkgetreu umsetzen, dann wirst du dich schauspielerisch vor allem mit Leonces Faulheit befassen. Es bietet sich also an, die Szene zu verlangsamen.
  • Gestik: Leonce bewegt sich gemächlich und verspielt, ohne jede Hast und Unruhe.
  • Mimik: Leonce verdreht häufig die Augen.
  • Stimme: Leonce wird vielleicht einen melodisch-blasierten Ton anschlagen, möglicherweise gähnt er oft und näselt.
  • Umgang mit dem Requisit: Das Requisit, der Sand, muss bespielt werden. Du entscheidest dich, nicht nur das Hochwerfen und Auffangen des Sandes zu zeigen, sondern auch gelangweiltes Rühren mit dem Zeigefinger. Der Sand gleitet ihm langsam aus der Hand, ein altes Zeit- und Vergänglichkeitssymbol.
  • Atem: Gelegentlich wird man Leonce behaglich seufzen hören.
  • Sprache: Leonce spricht langsam, formuliert bewusst.

Möglichkeiten der Textbearbeitung

Du solltest den Text für dein Spiel gründlich bearbeiten und deine schauspielerische Arbeit planen. Beim Proben merkst du rasch, was auf der Bühne funktioniert und was nicht. Hilfreich kann es sein, ein anderes Ensemblemitglied (oder zwei) um ein kritisches Urteil zu bitten. Am folgenden Beispiel eines bearbeiteten Rollentexts sind alle Eingriffe (auch Streichungen) sichtbar gemacht. Deine eigene Spielvorlage wird sich davon unterscheiden. Denkbar ist auch, Subtext hinzuzufügen, also nicht Ausgesprochenes (Gedanken, Ziele, Wünsche, Hoffnungen zu ergänzen.