Auf ein Schachspiel mit Zeller: Hermann Lingg

Hermann Lingg

Hermann Lingg kommt am 22.1.1820 in Lindau am Bodensee zur Welt. Früh lässt er eine Neigung zur Literatur erkennen. Er folgt jedoch dem Wunsch seines Vaters und studiert in München Medizin. 1843 promoviert er und wird Assistenzarzt. 1846 tritt Lingg als Militärarzt in die bayerische Armee ein, dient in Augsburg, Straubing und Passau. 1847 bereist er Italien, sieht Rom und Neapel. Im Revolutionsjahr 1848 gerät er in einen Zwiespalt, der ihn die seelische Gesundheit kostet: Seine Rolle als Amtsarzt verpflichtet ihn, sich trotz große Sympathien für die Demokraten gegen ehemalige Weggefährten zu stellen. Es kommt zum körperlichen und geistigen Zusammenbruch. Lingg leidet unter Verfolgungswahn, flieht aus dem Regiment und muss 1849 für ein Jahr die Heilanstalt Winnenthal aufsuchen, die er als geheilt entlässt. Gesund jedoch ist er nicht. 1853 wird er wegen seines Zustands pensioniert und aus dem Militärdienst entlassen. Verwandte versuchen seine Heirat mit Seraphine Lang zu hintertreiben. Die Tochter eines Forstaufsehers erscheint ihnen nicht standesgemäß. Lingg lässt sich nicht beirren und ehelicht seine Verlobte 1854 in München. Auf den Durchbruch als Schriftsteller wartet e zunächst vergebens. Erst als er Emanuel Geibel vorgestellt wird, kommt es zur entscheidenden Wende. Geibel lobt Linggs Gedichte von 1854 und ebnet ihm den Weg zu einem königlichen Jahresgehalt, das ihm Maximilian II. von Bayern gewährt. Hermann Lingg wird Mitglieder des Dichterbunds „Krokodil“, dem mit Schack, Heyse und Bodenstedt wichtige Vertreter der Münchener Dichterschule angehören. Es ist Linggs Gedicht Das Krokodil von Singapur, das dem Dichterkreis den Namen gibt. Neben zahlreichen Gedichtbänden und Auftragsdichtungen schreibt Lingg Dramen (Catilina, 1864; Die Walküren, 1864), das Epos Völkerwanderung (1865-1868) und seine Autobiographie Meine Lebensreise (1899). Trotz seiner Popularität als Lyriker ist Lingg heute nahezu vergessen.

Hermann Lingg als Patient Zellers

Linggs Hoffnungen, als Militärarzt im Dänischen Krieg eingesetzt zu werden, zerschlagen sich. Er wird stattdessen nach Passau beordert, wo er erkrankt: „Hier setzte sich der Keim zu einem Nervenleiden in mir fest, das mich bald darauf aufs Krankenlager warf.“ (Lingg 69). Als 1848 die Märzrevolution Baden und die Pfalz erfasst, ist Lingg Teil der Truppen, die zur Niederschlagung des Aufstands entsandt werden. Die Hitze im Zelt setzt ihm zu, aber vor allem die Sorge um die alten Freunde, die jetzt auf der Gegenseite stehen, rauben ihm den Schlaf:

Aus dem Lagerleben
 
Geh in dein Zelt, schlaf ein,
Die Wachtfeuer haben ausgebrannt!
Eine Feuersäule vom Rhein
Lagert sich über das Land.
 
Rasch zu nimmt die Nacht,
Wir werden im Schatten streiten;
Ich sah im Traum ein Heer zur Schlacht
An mir vorüber reiten.

Bild: Porträt Hermann Linggs, Lithographie. In: Der Salon für Literatur, Kunst und Gesellschaft. Leipzig: Payne, 1869. Signatur: Per. 177 l-4; Permalink: http://mdz-nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bvb:12-bsb10616514-5

Als die Demokraten unterliegen und Militärtribunalen zum Opfer fallen, kommt Linggs Krankheit zum Ausbruch:

Es begann die trübste, die furchtbarste Zeit meines Lebens, aus deren verzweiflungsvoller Lage mich nur die treue Sorge und Aufopferung meiner Anverwandten, besonders meiner stets hilfbereiten Tante zu retten im Stande war. Das Lazarett, in dem ich manchen Tag, früher als Ordinarius gewaltet hatte, sah mich bald als Patienten. Ich wurde streng gehütet, ein Krankenwärter hatte sogar die Weisung, die Lagerstatt mit mir zu teilen. Meine Kollegen bemühten sich aufs freundschaftlichste um mich. Endlich errang es meine Tante bei den mich behandelnden Militär-Ärzten, dass mir erlaubt wurde, ich dürfe in eine Privatheilanstalt verbracht werden. Dazu wurde Winnenthal, das unter der Leitung des berühmten Psychiatrikers Hofrat Zeller stand, ausersehen.

Der Einsatz seiner Verwandten ermöglicht ihm eine Behandlung in der „Königlichen Heil- und Pflege-Anstalt Winnenthal“, die ihre Bekanntheit dem traurigen Schicksal Lenaus und seinem Arzt Albert Zeller verdankt. Lingg schreibt:

Ich fügte mich dem liebevollen Zureden und folgte willig in die nahe bei Cannstadt in Württemberg gelegenen Heilanstalt. Es wurde mir dasselbe Zimmer angewiesen, das einst Lenau inne gehabt hatte. Dort brachte ich den ganzen Winter zu. Die. grosse Abgeschiedenheit, die weise Anordnung der Aufsicht und Führung nebst Unterredungen naturwissenschaftlichen und philosophischen Inhaltes mit dem Vorstande des Institutes und dessen Assistenten brachten meine Heilung zu Wege. Ich spielte öfters mit ihm Schach und eines Tages bat ich, meine Freigebung aus der Anstalt von dem Resultat des nächsten Spieles abhängig zu machen. Gewann ich, so sei doch das gewiss ein Beweis meiner geistigen Genesung und Befähigung zu voller Selbständigkeit. Ich gewann, ich setzte meinen Gegner matt und erhielt von ihm die Erlaubnis, zu den Meinigen und in die Freiheit zurückzukehren.

Linggs Auseinandersetzung mit seiner Krankheit hält jedoch an. Insbesondere seine Sonette (Nachtgedanken, 1854) zeigen deutliche Spuren der Erkrankung:

Bibliographie

  • Lingg, Hermann: Meine Lebensreise. Berlin: Schuster & Loeffler, 1899. Unter: https://archive.org/details/meinelebensreis00linggoog (Digitalisat)
  • Häntzschel, Günter: Lingg, Hermann Ritter von. In: Neue Deutsche Biographie 14 (1985), S. 623 f. [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd119002248.html#ndbcontent