Gunter Haug: Dieses eine Leben

Biographie

Abb.: Gunter Hauf. Foto: Stefanie Köhler

Gunter Haug kommt 1955 in Bad Cannstatt zur Welt. Nach dem Abitur am Gymnasium Münsingen auf der Schwäbischen Alb absolviert er seinen Zivildienst in Tübingen, wo er ein Studium der Landesgeschichte, der Empirischen Kulturwissenschaften und der Neueren Geschichte aufnimmt. Von 1972 bis 2005 ist er freier Zeitungsmitarbeiter, dann Zeitungs-, Radio- und Fernsehredakteur bei der Südwestpresse (Alb-Bote), beim Südwestfunk (SWF), beim Süddeutschen Rundfunk (SDR) und beim Südwestrundfunk (SWR). 1989 ist er zunächst Leiter der SWF Fernsehnachrichten, später Fernseh-Nachrichtenchef von SWF und SDR. Ab 1994 Abteilungsleiter für landeskundliche Fernseh-Sendungen und Sondersendungen beim SWF, dem späteren SWR. 1998 wird er mit dem Deutschen Preis für Denkmalschutz ausgezeichnet. Seit März 2005 ist Haug hauptberuflich als freier Autor, Schriftsteller und Moderator tätig und wohnt in Schwaigern (Landkreis Heilbronn).

Dieses eine Leben

Gunter Haugs dokumentarischer Roman „Dieses eine Leben“ ist eine Familienstudie und ein Zeitbild, vor allem aber eine Anklage gegen Schweigekartelle und Scheinheiligkeit. Der Roman behandelt das Leben und den Tod des nordbadischen Flaschnermeisters August Voll, der 1942 im Reservelazarett Winnenden stirbt. Gunter Haug legt dabei nahe, es habe sich um Mord gehandelt. Haug schildert, wie Voll sich als Flaksoldat zunehmend weigert, sich am Töten zu beteiligen. Der an einer Stellung oberhalb von Stuttgart beginnt öffentlich darüber nachzudenken, weshalb er töten muss, warum der Krieg falsch ist – und wird mehrfach verprügelt. Seiner bestürzten Frau Emilie eröffnet er, dass er ins Reservelazarett Winnenden verlegt werde: „[A]llein der Name des Lazaretts sprach Bände: Winnenden! Dort, wo sich seit vielen Jahren schon ein Irrenhaus befand.“ Damit wird Paragraph 42 des Reichstrafgesetzbuches an ihm vollzogen, der ihn zum „verbrecherischen oder minderwertigen Rechtsbreche[r]“ macht (ebd.).

Dort ist Prof. Dr. Hans Gruhle als Stabsarzt für ihn zuständig. Durch seine Bekanntschaft mit führenden NS-Eugenikern und die eigene Tätigkeit als Mediziner dürfe man Gruhle, so Haug, als hoch belastet ansehen. Haug stellt sich damit gegen die Argumente, die nach dem Krieg zu Gruhls Entnazifizierung führen. Jedenfalls schwebt der Kranke dem Vernehmen nach in akuter Gefahr: In einem Schreiben an seine Frau erwähnt Voll die Möglichkeit, dass „schnell etwas mit mir geschieht“ (ebd. S. 314); auch an seine Tochter Ella und seinen Sohn Willi schreibt er. In einer hastig auf ein Foto gekritzelten Notiz konkretisiert Voll seine Ahnungen: „Heute Nacht ist anscheinend ein Anschlag zum Mord an mir geplant und ich glaube, daß ich bei Tagesanbruch tot bin!“ (ebd. S. 317). Noch ein weiteres Schreiben schmuggelt er hinaus – von einem vorgetäuschten Selbstmord ist davon die Rede und von der geplanten Ermordung durch „ruchlose Mörder“ (ebd.). Am 8.8.1942 stirbt August Voll, angeblich sei er aus dem Fenster gesprungen. Als Todesursache wird festgehalten: „Herzschwäche bei Lungenentzündung nach Schädel- und Rippenbruch nach inneren Blutungen“ (ebd., S. 321). Am 11.8.1942 wird er an seinem Heimatort Kirchheim beigesetzt. Schon am 12.8. nimmt Emilie Voll in Winnenden die Habe ihres Mannes entgegen. Mit einem Mitpatienten Ihres Mannes, Adam Winkler, entspinnt sich ein reger Briefwechsel. Schon ganz zu Anfang bekundet Winkler, er werde die „reine Wahrheit“ über den Tod seines Kameraden aufdecken (ebd. S. 336). Dazu kommt es nicht. Am 10.10.1942 wird Winkler, als geheilt in den Ludwigsburger Arrest entlassen, in der Wehrmachtsstrafanstalt erschossen.

Bezug zu Winnenden

Haug hat Winnenden im Sommer 2002 besucht. Ganz zu Recht bemerkt Haug angesichts des renovierten Schlosses: „Ansonsten scheint man sich eher schwer zu tun in Winnenden mit der Erinnerung“ (ebd. S. 319). Mittlerweile hat sich jedoch einiges getan: Eine Gedenktafel von Martin Kirstein, vor dem Reservelazarett in den Boden eingelassen, erinnert an die Patienten und die Toten dieser Anstalt. Ein Monument gedenkt der Opfer des Nationalsozialismus; allerdings befindet sich die Aufschrift nur auf den zweiten Blick sichtbar auf der Rückseite der Skulptur. Immerhin wurde im Rahmen einer ersten Aufarbeitung der Krankenmorde auch explizit an die T4-Toten erinnert. Wer 2002, als Haug vor Ort war, diesen Teil der Stadtgeschichte ausblenden wollte, konnte es tun – insofern hat Haug durchaus recht, wenn ihn die scheinbare Idylle des Schlosses mit dem Mopsdenkmal befremdet. Auch seine Vorwürfe gegen Stabsarzt Gruhl und den Anstaltsleiter Gutekunst sind sicher berechtigt, mag die Nachkriegsjustiz auch anders geurteilt haben.

Bibliographie

  • Haug, Gunter: Dieses eine Leben: Aufrecht durch dunkle Zeiten: Tatsachenroman. Rothenburg ob der Tauber: Rotabene, 2006
  • Haug, Gunter: Dieses eine Leben: Aufrecht durch dunkle Zeiten. Bergisch Gladbach: Bastei Lübbe, 2008