Eduard von Bauernfeld besucht Lenau
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Bild: Franz Joseph Dobiaschofsky: Porträt des Dramatikers Eduard von Bauernfeld, 1850, Aquarell, 17cm x 12cm, Dorotheum
Der gebürtige Wiener Eduard von Bauernfeld war bereits als Beamter nebenbei Schriftsteller und gehörte zum Wiener Schriftstellerkreis um Nikolaus Lenau. Nachdem er 1848 aus dem Staatsdienst entlassen wird, wendet er sich ganz der Schriftstellerei zu und wird als Hausdichter des Burgtheaters und Verfasser von Konversationsstücken mit Wiener Anstrich berühmt. Als Vertreter des liberalen Bürgertums kritisiert er die Verhältnisse im Vormärz. Bauernfeld wird heute wenig gespielt, was auch an der Zeitbindung seiner Stücke liegt. Einzig die Republik der Thiere, ein phantastisches Drama aus dem Revolutionsjahr 1848, ist zumindest dem Fachpublikum bekannt. Seine Erinnerungen Aus Alt- und Neu-Wien sind eine wichtige Quelle für die Wiener Literaturszene des Vormärz. Insbesondere Lenau wird ausführlich charakterisiert. Schon ganz zu Beginn von Pauernfelds Porträt heißt es: „Mit Niembsch war ein eigener Verkehr. Er war durchaus nicht ungesellig, und zeitweise auch zu Scherz und Possen aufgelegt, wie wir anderen Sterblichen; aber mitten in der Fröhlichkeit, im Gasthause oder sonst, verstummte er plötzlich, stierte in die Luft oder in’s Trinkglas, in sich versenkt – oder er fuhr auf, wendete sich an mich oder sonst einen Freund: ‚Bruder, wollen wir nicht lieber ein zusammenhängendes Gespräch führen?‘“. Bauernfeld erwähnt auch die innige Beziehung Lenaus zu Alexander von Württemberg, der ebenfalls mit depressiven Episoden zu kämpfen hat. Auch sonst geht Bauernfeld hart mit Lenau ins Gericht: „Lenau’s Lebensweise war in keiner Hinsicht zu loben. Er lag halbe Tage im Bette, rauchte die stärksten Cigarren ohne Unterbrechung, trank schwarzen Kaffee dazu, was ihm, da er auch niemals freiwillig Bewegung machte, nach und nach die Eßlust gänzlich benahm.“ Auch beanstandet Bauernfeld, Lenau habe sich der Verehrung, die ihm in Wien und Stuttgart entgegenbracht wird, ein wenig zu sehr hingegeben und sei darüber etwas träge geworden. Die Weigerung Lenaus, die Freunde auf einer Bergwanderung zu begleiten, kommentiert Bauernfeld ein wenig spöttisch: „Es wohnte ein Stück der melancholischen Puszta-Einsamkeit in dieser Poetenseele!“. Kein Wunder, dass Bauernfeld erschrickt, als im Hochsommer 1844 Lenaus Stuttgarter Heiratspläne zu ihm dringen. Der „Schwärmer“ hat offenkundig keinen Sinn für die gewaltigen Umbrüche, die das politische Großdeutschland erschüttern.
Bezug zu Winnenden
Eduard von Bauernfeld kommt 1845 als Besucher Lenaus nach Winnenden – „die Kunde der tragischen Katastrophe in Stuttgart“, der Nachricht von Lenaus Zusammenbruch hat ihn bereits erreicht. Bauernfeld befindet sich auf der Rückreise von Paris und London, als er in Stuttgart Quartier nimmt, bei Heinrich Mürrenberg, genannt Moritz. Moritz, seit 1838 Oberregisseur am Stuttgarter Hoftheater, hat Lenau in Stuttgart kennengelernt und begleitet Bauernfeld zu Albert Zellers „Königlicher Heilanstalt“. Bauernfelds Bericht ist drastisch und zugleich aufschlussreich:
Der Vorsteher der Anstalt, Doctor und Hofrath Zeller, empfing mich mit der Bemerkung, es sei schade, daß ich nicht einen Tag früher gekommen – gestern habe sich der Kranke vortrefflich befunden, heute sei er etwas unruhig. Er habe übrigens von meinem Besuche gehört und freue sich darauf. Wir wurden sonach in seine Zelle geführt. Wir treten ein. Niembsch ruft mich an: »Ah, Banernfeld!« und umarmt mich. – Er ist stärker geworden, seine Haltung kräftiger, die Gesichtsfarbe gesünder, das Auge feurig. aber wilder, unheimlicher als sonst; der lange Bart, die weite flatternde Blouse geben ihm das Ansehen, als wäre er in einer Art Costüme – er ist schön wie Tasso. – Wir waren in Begleitung des Arztes gekommen und fanden den Wärter bei dem Kranken; dieser machte die Honneurs seines Zimmers und rückte Stühle zurecht. Im Gespräch verwirrte er sich bald, sprang von einem Gegenstande auf den andern, lachte auch viel, was immer seine Gewohnheit war, unterbrach sich selber mitten in einem Satze, auch lateinische Floskeln von natura naturans und natura naturata und dergleichen wurden ohne eigentlichen Zusammenhang dazwischen vorgebracht. – Er führte mich ans Fenster. „Siehst du den schönen Thurm?“ sagte er. „Da drinnen hausen Geister“ – setzte er geheimnißvoll hinzu. „Ja Geister – Gespenster – spectra!“ – Hierauf wieder ein lautes Lachen. Ich gab ihm eine Cigarre, er rauchte, schien etwas ruhiger geworden, und so gingen wir in den Garten. Ich wandelte eine zeitlang Arm in Arm mit ihm, sprach von unbedeutenden Dingen, suchte ihn bei der Stange zu halten. Da er sich des Neuner'schen Kaffeehauses, sowie unseres Gasthofes „zur Stadt Frankfurt“ mit Vergnügen zu erinnern schien, so lenkte ich das Gespräch nach und nach auf Personen, die ihm werth waren, wie A. Grün und Dessauer; er äußerte einigen Antheil, der aber bald wieder verschwand und sich mit Unsinnsbildern untermischte. Er sang oder summte dazwischen, mit tiefer Baßstimme, immer lauter, unheimlicher; dann pflückte er Blumen, gab sie abwechselnd mir und Moriz. Dem Letzteren überreichte er auch ein Blatt und einen dürren Zweig mit den Worten: »Diese Bekanntschaft danke ich Ihnen.« Er brach unreife Aepfel ab, wovon er mir einen schenkte; er biß auch in die saure Frucht, und als ich ihn abhalten wollte, meinte Hofrath Zeller, das schade ihm nicht, wirke sogar günstig bei seiner Constitution – er esse übrigens viel und mit Appetit.
Im Gespräche wurde auch jener Frau erwähnt, für welche Lenau eine so große Verehrung hegte. Er selbst nannte ihren Namen zuerst und sagte zu mir halb lachend: „Ich weiß, du hast was gegen sie – auch gegen mich – aber ein reines Verhältniß, Bruder, ein reines Verhältniß! Sie ist ausgezeichnet, sag' ich dir, ausgezeichnet! Und so gebildet, so gut – (laut lachend) und sie spricht vortrefflich Französisch.“ – Darauf, zu Moriz gewendet, der ihm als Schauspieler vorgestellt worden: „Ich werde auf dem Stuttgarter Theater den Verrina spielen – die Stuttgarter werden sich wundern!“ – Hierauf wieder eine laute Lache. Auch einige ungarische Erinnerungen mischten sich bei, sowie Ideen von Kampf und Schlacht. Wir kamen zu einer Schaukel, der Doctor schaukelte ihn. Er sang – seine Miene bekam einen immer wilderen Ausdruck, sein Singen wurde ein Brüllen – es war beinahe schauerlich, trotz des sonoren und kräftigen Organs. Der Doctor hieß ihn aus der Schaukel steigen, es thue ihm nicht gut. Der Kranke gehorchte ohne Widerspruch. Kein Zweifel, mein Besuch hatte ihn aufgeregt – ich flüsterte das dem Hofrathe Zeller zu, welcher meine Meinung theilte. Wir blieben hinter den Bäumen zurück; der Patient, der wieder laut zu singen begonnen, wurde von dem Assistenten in seine Zelle zurückgeführt.
Was ich selber gesehen und erfahren, so wie was mir Aerzte und Wärter der Anstalt, die ich befragte, an Details mitgetheilt, ließ mich wenig Hoffnung für unsern Kranken schöpfen. Dr. Zeller war anderer Ansicht. Der Ausgang sei freilich immer ungewiß, meinte er, aber er hoffe den Dichter zu heilen. Zu ruhiger Zeit äußere dieser die scharfsinnigsten Gedanken, spreche auch milde über Personen, nur äußerst strenge über Literatur und mit höchster Präcision, wobei es an den erhabensten Ideen nicht fehle. Erst unlängst habe er sich geäußert: „sein Zustand sei ihm zum Heile geworden, denn er habe nun einen persönlichen Gott gewonnen“. Er bat auch seinen Arzt, „er möchte die Geduld nicht verlieren, er werde gewiß genesen. Das Meer sei oft unruhig, und wenn der tiefste, sonst stille Grund aufgewühlt worden, dann halte es schwer, diesen wieder ins Gleichgewicht zu bringen!“
Dr. Zeller meinte ferner: wenn der Kranke Blumen, Blätter und dergleichen schenke, so müsse man das bei einer so poetischen Natur nicht wie das Behaben eines gewöhnlichen Narren annehmen. Lenau denke sich das Schönste und Erhabenste dabei. […] Wir äußerten gegen den Hofrath, daß sein Beruf, wenn auch theilweise lohnend, sich doch im Ganzen als ein höchst schwieriger, ja peinvoller herausstellen müsse. Der wackere Mann – seit zwölf Jahren leitete er die Anstalt – verhehlte uns nicht, daß es ihm, wenn er sich auf ein paar Tage aus der Mitte seiner Kranken entferne, immer Ueberwindung koste, sich wieder hineinzufinden. In meinem Tagebuch vom Jahre 1845 finde ich folgende Stelle über den Arzt und seinen Patienten: „Dr. Zeller ist ein edler und geistreicher Mann; aus Allem geht aber hervor, daß er seinen Kranken zu günstig beurtheilt. Ich kann fast nur glauben, daß dieser Zustand in Blödsinn ausgehen werde.“ –
Daß mich die Stunde mit dem kranken Freunde mächtig ergriffen hatte, mag man sich wohl denken! Ich hielt aber an mich und suchte meiner Empfindungen Herr zu werden, da ich als eine Art Beobachter gekommen war und in Wien über meine Autopsie zu berichten hatte. Moriz dagegen, ein gemüthlicher und weicher Mensch, war von der tragischen Zusammenkunft mit Lenau, den er nur aus seinen Werken kannte, so ergriffen, daß er immer stumm und unter hervorquellenden Thränen hinter uns herschlich, und noch auf dem Rückwege, in Waiblingen, wo wir zu Mittag aßen, den entsetzlichen Eindruck nicht loswerden konnte. Indem ich mir nun alle Mühe geben mußte, den bedenklich aufgeregten Freund zu beschwichtigen, hatte ich mich innerlich abermals selber zu bekämpfen, und erst in Stuttgart im einsamen Zimmer gelangte ich dazu, die eigentliche Trauer um den so gut wie Verlorenen nachzufühlen.
Bauernfeld besucht Lenau auch in Oberdöbling, wohin Familie und Freunde den Dichter zurückholen. Eine Anekdote aus dieser Zeit lässt darauf schließen, dass nicht allein die Syphilis zu Lenaus Zusammenbruch geführt haben muss. Lenau hatte eine Büste Platons bemerkt. Als man ihm die Frage beantwortet, wer der Dargestellte sei, entfährt es ihm: „Aha! Plato! Der die dumme Liebe erfunden hat!“.
Bibliographie
- Bauernfeld, Eduard: Gesammelte Schriften, Bd. 12: Aus Alt- und Neu-Wien. Wien: Braumüller, 1873
- Wurzbach, Constantin von: Bauernfeld, Eduard von. In: Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich, 1. Teil. Wien: Universitäts-Buchdruckerei L. C. Zamarski (vormals J. P. Sollinger), 1856, S. 186–188
- Horner, Emil: Bauernfeld, Eduard von. In: Allgemeine Deutsche Biographie (ADB). Bd. 46, Leipzig: Duncker & Humblot, 1902, S. 243–247