Kleine Kritik des Deutschunterrichts
Des isch krasses Essay über krasse Fach, weisstu. Isch sag disch ganz konkret, Deutsch ist im gymnasialen Fächerkanon das wichtigste, das allerwichtigste Fach, das superhyperallerwichtigste Fach.
Ja, klar, sagen die Pysiker und Mathematiker auch. Und die Schüler glauben’s. Also, Deutsch! Unterricht in der Sprache des Volks; der Sprache jener, die dem Volk aufs Maul schauten – und Sprache derer, die dem Volk aufs Maul hauten. Naja, und leider auch Sprache solcher, die ein zu großes Maul hatten. Deutsch: Sprache der Liebe mit angezogener Handbremse. Sprache, in der die Immen in den Linden sumsen. Schöne, schwere, schaurige Sprache: Deutsch. Nur in der Schule kommt nichts dabei heraus. Naja, oft.
Deutsch ist nämlich unfair. Wer nichts liest, kommt zu nichts. Ausdruck und Stil – ich streich’s an, aber wer vermittelt das denn? Das müssen die doch mit der Muttersprache aufsaugen. Oder am Frühstückstisch: „Ja, Herr Vater, mich dünkt der späte Rilke auch etwas kryptisch. Nein, Frau Mutter, diesmal lediglich Butter, nicht jenes zinnoberrote Hagebuttenmus.“
Das ist doch das Hauptproblem – es fehlt am Wortschatz, es fehlt an der Geläufigkeit der Formulierung, es fehlt in der verbreiteten Sprachlosigkeit an Worten. Es fehlt am Mut, seine Sätze gewissenhaft zu wenden und zu drehen, bis der ganze Staub herauspudert. Wer soll das richten? Ich? Habe ich gar keine Zeit für.
Die Medienpriester salbadern immer so schön von der neuen Sprache, die bald so köstlich kreativ aus den Blackberries rinnen wird. Jeder Sechstklässler weiß es besser. The medium kills the message. Kein Fach hat unter den veränderten Mediengewohnheiten im Siliziumzeitalter so gelitten wie Deutsch. Sprachmüll wabert aus dem Dschungelcamp, drehbuchlos inszenierte Shows üben uns ein in die große Kunst des Stammelns. Die Klassiker gibt’s jetzt in einer entkoffeinierten Schonfassung, ohne so komische alte Wörter und so.
Ich hab ja nichts gegen Mathe. Um Durchschnitte auszurechnen ist sie ja ganz nützlich. Aber da machen sich die Schüler drei Wochen vor der Arbeit verrückt. „Sag mal“, sagt die Mathe-Kollegin sichtlich irritiert, „warum essen denn die in einer Deutschklausur?“ In Mathe hersche eine andere Arbeitsatmosphäre, jawoll, nicht so ein Gemümmel, Gesüffel und Gedusel. Matheklausur! Drei Wochen vorher schwitzen die eine Abiklausur nach der anderen durch, knallhart, an Hausaufgaben darf ich in Deutsch derweil nicht einmal denken, wenn Mathe ansteht, Pausen-Smalltalk wird konsequent abgeblockt, Pausen gibt es sowieso nicht mehr. Mathewochenende, Matheferienkurs, Mathe hier, Mathe da – alles kein Problem. Ist ja wichtig! Deutschklausur? Was? Morgen? Okay, vielleicht les ich mir vor der ersten Stunde noch’n paar Aufschriebe durch. Mal ehrlich, Kultusministerium: Wozu zieht ihr das eigentlich vierstündig durch bis ins Abi? Könnte man doch noch mehr Mathe machen.
Oder Englisch. Englisch ist nützlich. Englisch ist cool. Englisch trägt keine Hosenträger, Kordhosen und Karohemden. Englisch trägt Blazer, ist sexy. Englisch ist der krasse Typ auf YouTube, der ganz schnell ganz reich wurde und dir 24/7 erklärt, dass du das auch kannst. Und Deutsch? – Das ist der altfränkische Gartenwerg mit dem Kinnbart und der Mistgabel, der an Buchsbaumhecken herummäkelt, die nicht 0815 wachsen. Englisch, das ist fun and games, Deutsch ist Seite 37 der Lektüre, Zeile fünf. Deutsch ist öde. Auf Englisch findet man insgeheim sogar Lyrik erträglich.
Noten gibt’s allerdings auch in Deutsch. Mit langen Kommentaren. „Die Einleitung ist schön. Der Hauptteil hätte etwas länger sein können. Schluss: ausbaufähig. Drei Plus.“ Die inoffizielle Skala geht bis vier minus. Sechser gibt’s nicht, Deutsch kann jeder. Ein Vater, Ingenieur, meinte mal, für eine 3- müsse es doch reichen, wenn man vorne und hinten seinen Namen draufschreibt. Super! Deutsch ist Gedöns, ist Tralala. Und Deutschnoten sind Schicksal, die nimmt der Schüler mehr oder minder ergeben hin. Der Herr hat’s gegeben, der Herr hat’s genommen, der Herr sei gelobet immerdar. Anstrengung – verlorene Lieblosigkeitsmüh.
Deutsch ist aber jede Anstrengung wert. Deutsch! Die Sprache der Antragsformulare, der Eichhörnchen. Die Sprache Luthers, Lessings und Liebknechts. Jene Sprache, die es nicht geben dürfte im Land der Dialekte, die wir sprechen, weil wir sie schreiben. Eine Sprache, die gemordet hat und befreit, die den Trümmerstaub unserer Geschichte in sich trägt, feingemahlen, festgebacken in jedem Wort, von Kant bis Kafka. Wer wollte seine Sprache nicht lieben? Deutsch ist wichtig.
Dein Deutsch drückt aus, woher du kommst, wie du denkst, was du fühlst, wer du bist. Aber Deutsch hat noch andere Vorzüge. Deutsch ist das Fach der Deutungskunst, des Querdenkens, des Weiterdenkens, des Tieferdenkens. Gegen Gewissheiten setzt Deutsch sein großes Vielleicht. Deutsch ist kein Erlöserfach, gibt sich mit keiner Lösung zufrieden, jedenfalls nicht mit einer.
Deutsch ist das Fach der Widerhaken, des Widerstands, der Widerworte, gegen Gelaber, Gesäusel und Gelüge – die schärfste Waffe in Politik und Polemik. Sprachgefühl schützt vor Populisten und Predigern. Das plakative Wort plaudert alle Falschheit aus, man muss nur reden lassen und gut hinhören!
Deutsch ist ein Waldspaziergang: Natürlich, den Wald vor lauter Bäumen zu sehen, das ist wichtig. Aber wer begreift den Wald, wenn er ihn nicht bei tausend Namen kennt? Wenn ihm die Stieleichen, Hainbuchen, Waldkiefern, Mispeln und Misteln ganz gleich und eins und ganz dasselbe sind? Wer hört den pfeifenden, fauchenden Wind im flirrenden Forst, wenn er nur Windstärke drei kann, mäßig bewegt? Guter Deutschunterricht lehrt euch spüren, sehen, empfinden! Also, geht in euch, besinnt euch, rafft euch zusammen
Zweifellos wird sich auch das Fach verändern müssen. Es kann und darf nicht sein, dass sich der Deutschlehrer den Horizont einer Altweimarer Bettwanze und die Leidenschaft einer Bücherlaus leistet. Vermutlich dürfte er Tells Armbrust dahin legen, wo Wallensteins gepuderte Perücke schon liegt: im Fundus. Den Tellschen Widerspruchsgeist und Freiheitssinn sollte er bewahren – auch für euch.
Denn ihr müsst dafür sorgen, dass sein Fach auch dort wirkt, wo man es schon besiegt und bezwungen und vertrieben wähnt: im Netz. Dort müsst ihr Beauty-Palast-Bewohnern heimleuchten, Trollen die Klauen stutzen. Auf euren Scharfsinn und die Schärfe eures Stils kommt es an. Ihr müsst Wortmüll entsorgen und schiefe Sätze geradebiegen. Wer mit euch ist? All jene, die immer noch nicht glauben, dass es egal ist, ob man "dämlich" mit oder ohne h schreibt. Wer sich retten will vor Einfalt und Einfallslosigkeit, der rette seine Sprache. Denn eure Sprache bestimmt euer Bewusstsein – Worte verändern vielleicht nicht die Welt, aber eure Welt.
Ist Deutsch wichtig? Deutsch ist wichtig. Isch schwör!