Christian Friedrich Sattler: Winnender Wein

Christian Friedrich Sattler, am 17. November 1705 in Stuttgart geboren, war ein äußerst produktiver Landeskundler und Historiker Württembergs. Nach der Beendigung seines Studiums war Sattler zunächst Hofgerichtsadvokat, ehe er 1735 Archivar wurde. Dadurch hatte Sattler Zugang zu historischen Quellen, den er rege nutzte. 1752 erschien seine Topographie Württembergs, 1767 folgte die Geschichte des Herzogthums und der angrenzenden Gebiete bis 1260, in den Jahren 1767 bis 1768 die Geschichte Württemberg’s unter den Grafen in 4 Theilen und von 1769 bis 1783 die Fortsetzung mit der Darstellung Württembergs unter den Herzogen in 13 Teilen. Sattler hatte bei seinen Schriften mit der Zensur zu kämpfen, die sich über inhaltliche Bestimmungen auch auf Stil und Sprache erstreckte. Hochbetagt starb Sattler am 17. Mai 1785 in Stuttgart.

Text

Die Stadt ligt ungefähr dritthalb Meilen von der Stadt Stuttgard gegen Backnang und dem Closter Murrhard zu und solle auch den Namen haben von Wein-ende, weil über Winnenden hinaus wenigstens damals kein Wein mehr gewachsen, wiewohl jetziger Zeit auch zu Backnang Wein wächset, obschon der Wein zu Winnenden nicht allein gegen Waiblingen zu gezogen wird, sondern auch eben nicht der beste ist; Als deßwegen ein Weingärtner aus dem Ramsthal einstens einen liederlichen Burger zu Winnenden einen Kerl hiesse, der wie der Winnender Wein seye und diser sich darüber als über einen grossen Schimpff beklagte, gab der Vogt zu Waiblingen zur Antwort, daß, weil der Winnender Wein seye wie der Kläger, so sollte die Schmach aufgehoben seyn, biß Kläger ein anderer Mann und der Winnender Weyn ein besserer Ausbund werde. Nichts destoweniger gibt man daselbst vor, daß an der Burg zu Winnenden der erste Wein in ganz Schwaben gepflanzet worden, welches man aber dahin gestellt seyn lässet.

Kontext

Diese Anekdote liefert Christian Friedrich Sattler in seiner Historischen Beschreibung des Herzogthums Würtemberg, verlegt 1752 in Esslingen und Stuttgart bei Johann Nicolaus Stoll und Gottlieb Mäntler. Sattlers Anekdote, für Winnender Winzer wenig schmeichelhaft, sollte man unabhängig vom Wahrheitsgehalt im Kontext des Gesamtwerks und der Zeit sehen. Sattlers Werk gehört in die Tradition der historiographischen Buntschriftstellerei, wie sie für landeskundliche Überblickswerke dieser Zeit nicht ungewöhnlich ist. Erzählt wird nicht notwendigerweise das historisch Wahre, Verbriefte, Besiegelte, sondern das rhetorisch Aussagekräftige und Unterhaltsame. Die in die Ortsbeschreibung integrierte Anekdote folgt einem verbreiteten Schreibmuster: Aus Rede und Gegenrede folgt ein Konflikt, der mit einer pointierten Bemerkung aufgelöst wird.

Kommentar

Sattler gibt zunächst eine Erklärung für den Ortsnamen, der in unterschiedlichen Formen überliefert ist: zuerst die mittelhochdeutsche Form „winden“ (sofern in Gottfried von Neifens Minnelied überhaupt von Winnenden die Rede ist), das am Schwäbischen angelehnte „Wineden“ und die heute amtliche Form „Winnenden“. Eine wichtige Vorbemerkung für Ortsfremde sei gestattet: Winnenden wird auf der ersten Silbe betont! Woher Winnenden letztlich seinen Namen hat, ist ungeklärt und kann auch hier nicht aufgelöst werden. Es gibt mit Sattlers Erklärung, in Winnenden ende der Wein, zumindest drei Theorien. Zuweilen wird auf Wenden verwiesen, die nach dem Wendenkreuzzug möglicherweise am Bau der Schlosskirche beteiligt waren. Allerdings ist die Quellenlage dürftig, archäologische Befunde sind nicht eindeutig. Die Herleitung von der Kapelle St. Wendelins, die in Winnenden existierte, dürfte ein Anachronismus sein. Dass sich Winnenden von den Winden herleite, muss eine Vermutung bleiben – wenngleich Zaun- und Ackerwinden zum Leidwesen manches Gärtners in Winnenden zweifellos prächtig gedeihen. Volksetymologisch ist sicher auch die schmeichelhafte Deutung, Winnenden leite sich von den „Gewinnenden“ her, die zur Aufnahme eines Würfels ins Vereinswappen der SV Winnenden geführt hat.

In der Tat war um 1700 das Klima deutlich kühler, vor allem in den Höhenlagen um Winnenden herum (Berglen, Schwäbischer Wald). Winnenden hatte damit nicht die besten Voraussetzungen für den Weinbau. Im Gegensatz zu den Anbaugebieten im Remstal und am Neckar, die vom milden Weinbauklima der Flußtäler profitierten, war das höher gelegene Winnenden stärker von Spätfrösten betroffen. Insofern hat Sattler mit seiner Skepsis gegen den Winnender Wein nicht ganz unrecht. Dass ein Remstäler nicht besonders gütig über den Winnender Wein urteilt, ist also für Sattlers Berichtzeitraum durchaus plausibel. Winnenden ist noch heute kein traditioneller Weinort wie Korb, Fellbach oder Esslingen, der Klimawandel mag jedoch im 20. Jahrhundert dazu beigetragen haben, dass der Weinanbau auch in Winnenden floriert. Das belegen die Winnender „Weintage“, auf denen mehrere Weingüter (etwa Häusser, Luckert, Ehring, Siegloch) Weiß-, Rosé und und Rotweine anbieten.

Höchst unwahrscheinlich ist, dass an den Bürger Hängen der erste Wein des ehemaligen Herzogtums Schwaben „gepflanzet worden“ sei. Auch Sattler deutet behutsam an, dass er diese Behauptung für ein lokalpatriotisches Märchen hält. Um die ehemalige Burg Alt-Winnenden liegen zwar durchaus Anbauflächen, die „ersten“ in Württemberg dürften es aber so nah am Limes kaum gewesen sein.

Quelle

  • Sattler, Christian Friedrich: Historische Beschreibung des Herzogthums Würtemberg: Und aller desselben Städte, Clöster und darzu gehörigen Aemter, nach deren Besitzern, Schicksalen und so wohl historischen, als Natur-Merkwürdigkeiten, nebst einigen das teutsche bürgerliche Leben und Staats-Recht erläuterenden Anmerkungen. Stuttgart und Eßlingen: Stoll und Mäntler, 1752
  • Schneider, Eugen: Sattler, Christian Friedrich. In: Allgemeine Deutsche Biographie 30 (1890), S. 409-410 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd116974818.html#adbcontent