Chöre im Theater
In der griechischen Antike waren Chöre wesentliche Elemente jeder Aufführung; in den folgenden Jahrhunderten haben sie - von wichtigen Ausnahmen abgesehen - an Bedeutung verloren, je stärker das Theater die Welt nachahmen wollte. Im modernen Theater haben Chöre wieder an Bedeutung geworden; ihr Potential auf der Bühne ist groß, nicht nur im sozial engagierten Theater.
Definitionen
- Der Chor ist im Drama die Gesamtheit der zusammen handelnden und sprechenden Darsteller, die als einheitliche Gruppe oder als Einzelfigur wirkt.
- Chorführer(Koryphaios) ist, wer den Chor anleitet und als Einzelsprecher vertritt.
- Choreuten sind die einzelnen Darsteller als Teil des Chors.
- Der Chorodidaskalos war in der Antike der verantwortliche Leiter beim Einstudieren der Chöre.
- Chorisches Sprechen ist das simultane, gemeinsame Sprechen der Darsteller im Chor.
- Choreographie ist die Kunst, den Chor in Anordnung und Zusammenwirkung zu gestalten.
Wissenswertes zu Chören
- Vermutlich entstanden Chöre aus dem Kulttanz – eine frühe Form war der Dithyrambos, ein Kultgesang zu Ehren vor allem des Dionysos.
- Während im Satyrspiel zunächst zwölf Choreuten auftraten, waren es in der sophokleischen Tragödie fünfzehn Darsteller und in der Komödie 24 Teilnehmer.
- Ort des Chors war in der Regel die Orchestra, wo der Chor nach dem Eingangsmonolog und dem Parodos bis zum Ende des Stücks Stellung nahm.
- Bis zur Einführung des zweiten Darstellers, wohl durch Äschylos, stand dem Protagonisten nur der Chor gegenüber.
- Die Rolle des Chors ähnelte in der griechischen Antike dem allwissenden Erzähler, der das Publikum durch die Handlung führt.
- Die Größe antiker Theater zwang den Chor zu einer Reihe von Techniken, um seine Wirkung zu sichern. Dazu gehörte der Einsatz von Masken, Echowellen und Synchronisation.
- Chöre gibt es in der Literatur sei dem 17. Jahrhundert immer wieder, wenn auch vereinzelt: in John Miltons Samson Agonistes, in Manzonis Aldechi, in Schillers Braut von Messina oder in Goethes Faust II.
- Chöre kommen im modernen deutschen Theater vor allem bei Volker Lösch, Einar Schleef und Elfriede Jelinek zum Einsatz.
Der Chor im Theater
- Der Chor kann die Handlung und ihre Protagonisten kommentieren.
- Daraus kann sich ein Kontrast der inhaltlichen Position des Chors zu den Positionen der Handlungen ergeben.
- Die einzelnen Darsteller können mit dem Chor interagieren, in ihm aufgehen und aus ihm heraustreten.
- Chöre können sprechen (chorisches Sprechen) oder singen (Chorgesang).
- Chöre können auch mit Laien besetzt werden (wie oft in Volker Löschs Inszenierungen).
- Chorisches Sprechen wirkt besonders nachdrücklich, hat eine besondere Wucht.
- Chöre können simultan auftreten oder in Gruppen aufgeteilt werden und zeitversetzt sprechen und handeln.
- Chöre eignen sich besonders gut für Anteile des Texts, die nicht szenisch angelegt sind, etwa für Lieder und Gebete, Briefe oder Dokumente.
- Äußerungen von Chören wirken objektiv, sie werden weniger stark als Träger von Stimmungen aufgefasst.
- Chöre können Gleichheit oder Einheit symbolisieren; im politischen Theater kommt ihnen deswegen eine besondere Bedeutung zu.
- Der Einsatz des Chores wirkt künstlich und kann daher als Mittel der Verfremdung eingesetzt werden.
- Für das Ensemble stärkt der Einsatz von Chören das Zusammengehörigkeitsgefühl.
Regeln für den Einsatz von Chören
- Chöre sollten so stehen, dass sie das Bühnengeschehen nicht behindern: Bewegungen, Auftritte und Abgänge.
- Chöre müssen gut trainiert werden, damit eine gewisse Einheitlichkeit im Ausdruck gewährleistet werden kann.
- Die Gruppierung der Choreuten sollte zur Szene passen: Halbkeis, Kette, Diagonale, Dreieck, Doppelreihe etc.
- Es kann hilfreich sein, einen Choregen oder Chorführer zu ernennen, der die Einsätze markiert.
- Oft ist es hilfreich, wenn Chöre im Kreis stehen, wenn ihr Auftritt zum ersten Mal geübt wird.
Übungen zum Einstudieren von Chören
- Chorisches Sprechen: Texte werden chorisch gesprochen.
- Call and Response: Der Chorführer steht im Dialog mit dem Chor, der als Einzelfigur Antwort gibt.
- Rhythmisierter Chor: Der Chorführer gibt mit einem Klatschen oder Klanghölzern den Rhythmus des Chors vor.
- Fischschwarm: Der Chor bewegt sich sprechend durch den Raum, wobei die Choreuten möglichst eng zusammenbleiben.
- Bewegungschor: Der Chorführer gibt eine Bewegung vor, die der Chor simultan oder zeitversetzt nachahmt.
- Übertönen: Zwei Chöre versuchen abwechselnd jeweils ein- und ausdrucksvoller ihren Text zu sprechen.
Literatur
- Baur, Detlev: Der Chor im Theater des 20. Jahrhunderts: Typologie des theatralen Mittels Chor. Berlin: De Gruyter, 2012
- Donath, Stefan: Protestchöre: Zu einer neuen Ästhetik des Widerstands. Stuttgart 21, Arabischer Frühling und Occupy in theaterwissenschaftlicher Perspektive. Bielefeld: transcript, 2018 (Theater; Bd. 112)
- Langner, Paul Martin; Gospodarczyk, Joanna (Hgg.): Zur Funktion und Bedeutung des Chors im zeitgenössischen Drama und Theater. Berlin: Peter Lang, 2019 (Interdisciplinary studies in performance; Bd. 21)
- Riemer, Peter: Zimmermann, Bernhard: Der Chor im antiken und modernen Drama. Stuttgart: Metzler, 1999 (Drama; 7)