Aktionskunst: Happening und Performance

Aktionskunst und Theater

Die Auseinandersetzung mit Aktionskunst ist aus folgenden Gründen wichtig für die praktische Theaterarbeit:

  • Erweiterung des künstlerischen Ausdrucks: Aktionskunst erweitert die Vielfalt der Ausdrucksmöglichkeiten im Theater, indem sie Mittel und Formen einbezieht, die über traditionelle Theatertechniken hinausgehen.
  • Interdisziplinarität: Aktionskunst integriert verschiedene Kunstformen wie Bildende Kunst, Musik, Tanz und Performance, was zu einer bereichernden Interdisziplinarität führt und neue kreative Wege eröffnet.
  • Partizipation und Interaktion: Aktionskunst betont oft die Beteiligung des Publikums, was zu einer dynamischeren, interaktiven Theatererfahrung führt. Dies kann die Bindung zwischen Darstellern und Zuschauern stärken und die Wirkung des Stückes verstärken.
  • Kritisches Denken und Reflexion: Aktionskunst regt zum Nachdenken über gesellschaftliche, politische und kulturelle Themen an. Sie kann im Theater als Mittel eingesetzt werden, um das Publikum zum kritischen Denken und zur Reflexion über aktuelle Themen zu ermutigen.
  • Bruch mit Konventionen: Aktionskunst bricht mit traditionellen Theaterkonventionen und Theaternormen. Dies fördert eine innovative Herangehensweise an Inszenierungen und kann zu einer Erneuerung und Weiterentwicklung der Theaterpraxis beitragen.
  • Performance und Körperlichkeit: Aktionskunst betont körperliche Performance und Präsenz. Dies kann Schauspielern helfen, ihre Körperlichkeit zu schulen und eine stärkere Bühnenpräsenz zu entwickeln.
  • Raum- und Umweltbewusstsein: Aktionskunst nutzt oft unkonventionelle Räume und Orte. Dies schärft das Bewusstsein für die Beziehung zwischen Performance und Raum. Theaterpraktiker lernen dabei, den Raum um sie herum auf neue Weise zu nutzen und zu gestalten.
  • Improvisation und Spontaneität: Aktionskunst beinhaltet oft Elemente der Improvisation, die für Schauspieler und Regisseure wertvoll sein können, um Spontaneität und Flexibilität im kreativen Prozess zu fördern.
  • Grenzüberschreitung und Provokation: Aktionskunst kann provokativ sein und Grenzen überschreiten. Dies kann im Theater dazu beitragen, neue Perspektiven zu eröffnen und das Publikum aus seiner Komfortzone zu holen.
  • Direkte Kommunikation und Authentizität: Aktionskunst sucht oft nach direkter und unvermittelter Kommunikation, was zu einer authentischeren und unmittelbaren Theatererfahrung führen kann.
  • Soziale und politische Relevanz: Aktionskunst hat oft einen starken sozialen und politischen Anspruch. Die Auseinandersetzung damit kann das Theater als Plattform für gesellschaftlichen Wandel und politische Diskussionen stärken.
  • Experimentierfreudigkeit und Kreativität: Aktionskunst fördert eine experimentelle Herangehensweise an die Kunst. Dies kann Theaterpraktiker dazu ermutigen, neue und unkonventionelle Ideen zu erforschen und kreative Risiken einzugehen.

Begriff

Der Begriff des Happenings wurde geprägt von Allan Kaprow, der ihn in seinem Aufsatz The Legacy of Jackson Pollock erstmals verwendet. 1961 systematisiert er seine Beobachtungen in Happenings in the New York Scene. Der Begriff der (künstlerischen) Performance im engeren Sinn geht auf Marjorie Strider zurück (1969).

Voraussetzungen

Wurzeln des Happenings und der Aktionskunst findet man …

  • in der Aktionsmalerei (Jackson Pollock: Drippings, Action Painting)
  • in der Wiederentdeckung des Brutismus Luigi Russolos (L’arte die rumori, 1913)
  • in der Renaissance des Dadaismus (Neo-Dadaismus)
  • in den Aktionsformen des italienischen und russischen Futurismus;
  • im Informel
  • in der Kompositionslehre von John Cage (1952, Black Mountain College)
  • in der Tanzgymnastik und im Ausdruckstanz (Rudolf von Laban)
  • im Nouveau Réalisme (begründet 1960 von Pierre Restany und Yves Klein): Werke von Yves Klein, wie die Anthropométries und Saut dans le vide.
  • in den Aufführungen der Bauhausbühne und den Aktionsformen der Werkstätten am Bauhaus seit 1919, in deren Rahmen experimentelle Performances stattfanden zur Erforschung der Beziehung zwischen Körper, Raum, Klang und Licht;
  • in der Theaterkonzeption Antonin Artauds
  • in den Aktionsformen der Friedens- und Anti-Atom-Bewegung
  • in den Aufführungsformen der Beatliteratur (William Burroughs)
  • in den Aktionen der Gutai-Gruppe (Jirō Yoshihara und Shozo Shimamoto), Einfluss auf Fluxus und Künstler wie Joseph Beuys beeinflussten.
  • in der Land Art ( Robert Smithson, Dennis Oppenheim): Konzepte der Land Art, bei denen Natur und Künstlerkörper integriert werden.

Merkmale

Wesentliche Merkmale des Happenings sind:

  • Seine interdisziplinäre, Künste verbindende Ausrichtung;
  • Sein Verzicht auf den Einsatz der Sprache;
  • Das Weglassen von Rollen;
  • Seine Einmaligkeit;
  • Seine Improvisiertheit;
  • Das Prinzip von Assemblage und Collage;
  • Aleatorische Elemente, der Verzicht auf klare Handlungsvorgaben;
  • Die Verbindung haptischer, visueller und akustischer Reize;
  • Die Möglichkeit zur Einbeziehung des Publikums;
  • Die Ausdehnung des künstlerischen Handelns auf außerkünstlerische Aktionsfelder;
  • Die Einbeziehung von Alltagshandlugen und Alltagsgegenständen.

Happenings sind geprägt von folgenden Charakeristika:

  • Partizipation des Publikums: Zuschauer können zu Mitwirkenden werden und direkt in die Aktion einbezogen werden, deren Verlauf sie damit beeinflussen.
  • Unvorhersehbarkeit: Es gibt kein festes Skript; die Handlung entwickelt sich spontan; der Ausgang des Happenings ist ungewiss und kann von der Interaktion der Teilnehmer abhängen.
  • Interdisziplinarität: Happenings zielen oft auf eine Kombination verschiedener Kunstformen wie Theater, Tanz, Musik, Malerei und Literatur.
  • Flüchtigkeit: Happenings sind temporär und oft einmalig; sie können nicht wiederholt oder exakt reproduziert werden.
  • Ortsbezogenheit: Happenings besetzen spezifische Orte und Räume, oft außerhalb traditioneller Kunstkontexte wie Galerien oder Theatern. Der Ort kann eine wichtige Rolle in der Performance spielen und das Geschehen beeinflussen.
  • Improvisation: Die Künstler und Teilnehmer reagieren spontan auf die Umgebung und die Interaktionen. Es gibt flexible Strukturen, die Raum für Improvisation lassen.
  • Interaktion mit Objekten: Oft werden alltägliche oder auch ungewöhnliche Objekte eingesetzt, die eine symbolische oder funktionale Rolle spielen. Teilnehmer werden mitunter dazu aufgefordert, mit diesen Objekten zu interagieren.
  • Experiment: Happenings sind oft experimentell und erkunden neue Formen des Ausdrucks und der Darstellung. Sie brechen mit konventionellen Normen und Strukturen.
  • Betonung des Prozesses: Der kreative Prozess steht im Vordergrund, nicht das Endprodukt. Zentral ist das Erlebnis der Teilnehmer.
  • Soziale und politische Dimension: Viele Happenings greifen soziale oder politische Themen auf und laden zu Reflexion und Diskussion ein. Sie können provokativ sein und gesellschaftliche Normen hinterfragen.
  • Einbeziehung des Zufalls: Zufällige Ereignisse und Aktionen werden oft bewusst in die Performance integriert. Zufallselemente tragen zur Unvorhersehbarkeit und Einzigartigkeit der Performance bei.
  • Symbolik und Metaphern: Oft werden symbolische Handlungen und visuelle Metaphern eingesetzt, um tiefere Bedeutungen zu erzeugen. Aktionen können archetypische oder kulturelle Symbole offenlegen.
  • Grenzüberschreitung: Happenings überschreiten oft die Grenzen zwischen Kunst und Alltag. Sie schaffen neue Kontexte und zeigen Verbindungen auf zwischen Kunst und Leben.
  • Kollektives Erlebnis: Die kollektive Erfahrung der Teilnehmer steht im Mittelpunkt. Gemeinschaft und gemeinsames Erleben sind zentrale Aspekte des Happenings.
  • Fehlertoleranz: Fehler und unerwartete Ereignisse werden als Teil des kreativen Prozesses akzeptiert und integriert. Es gibt kein Scheitern; alles kann zu einer Bereicherung der Erfahrung führen.
  • Vielfältige Darstellungsformen: Happenings sind nicht auf bestimmte Aktionsformen festgelegt und können viele verschiedene Formen annehmen, von stillen, meditativen Aktionen bis hin zu lauten, chaotischen Ereignissen.
  • Zeitliche Struktur: Die zeitliche Abfolge der Ereignisse kann durch ein Skript festgelegt oder flexibel sein. Manche Happenings haben eine klare zeitliche Struktur, andere verlaufen in offenen, undefinierten Zeiträumen.

Chronologie zur Geschichte des Happenings

1955

Körperaktionen der japanischen Gutai-Gruppe

1959

Allan Kaprow: 18 Happenings in 6 Parts (Reuben Gallery, New York). --- Gustav Metzger: Auto-Destructive. --- Yves Klein: Zone de Sensibilité Picturale Immatérielle. --- Red Grooms, Yvonne Andersen, Bill Barrell, Sylvia Small, Dominic Falcone: Walking Man.

1960

Red Groom, mit Jim Dine, Claes Oldenburg und Al Hansen: The Burning Building; The Ray Gun Spex; zugleich finden in New York Festivals statt, in denen Happenings einen festen Platz finden. --- Jean-Jacques Lebel: L'enterrement de la Chose.

1961

Wolf Vostell: Cityrama. --- Wim T. Schippers: Salzwasser-Happening (Niederlande).

1962

Wiener Aktionismus: Günter Brussig, Otto Mühl, Hermann Nitsch, Rudolf Schwarzkogler. --- Jean-Jacques Lebel: Pur conjurer l’ésprit de Catastrophe.

1963

Das Festival of Avantgarde wird begründet. --- Wolf Vostell: TV-Burying.

1964

Carolee Schneemann: Meat Joy (Kinetic Theatre); Wolf Vostell: In Ulm und um Ulm herum. --- Gruppe „Aktual“ wird gegründet. --- ZAJ-Festivals, Madrid. --- Yoko Ono: Cut Piece (Tokio, Sogetsu Art Center).

1965

Adrian Henri: International Poetry Incarnation, London: Albert Hall. --- Hugo Heyrman und Panamarenko: Happenings in Antwerpen und Ostende, z. B. KYRPWWAWAX. --- Marta Minujín: Reading the News.

1966

John Sharky und Gustav Metzger: Destruction in Art Symposion (DIAS), London. --- Fluxus Festival, Prag. --- Provo: Happenings um die Statue Het Lieverdje in Amsterdam (Niederlande).

1970

Yellow House Artist Collective: Happenings in Sydney

1972

Gary Botting: The Aeolian Stringer, Black on Black, Pipe Dream (Kanada).

1993

Jens Galschiøt: My Inner Beast

1997

Jens Galschiøt Pillar of Shame (Hong Kong)

1999

Jens Galschiøt: Pillar of Shame (Mexiko-Stadt) 

2005

Gründung der Vereinigung Alternative Orange.

2018

Interdisziplinäre Sprach-Happenings von OBJECT (Tyko Say, Jeff Milton)

Chronologie wichtiger Performances

1960

Yves Klein: Le Saut Dans le Vide (Der Sprung in die Leere): Fotomontage von Harry Shunk; Vorläufer der Foto- und Medienperformances.

1961

Simone Forti: Huddle, als Teil von Yoko Onos An Evening of Dance Constructions, durchgeführt in Onos Loft in Manhattan. --- Nam June Paik: Performance im Kölner Studio für elektronische Musik des WDR.

1962

Yoko Ono: Wall Piece for Orchestra: Concept-Art-Stück, in dem Ono kontinuierlich ihren Kopf auf den Bühnenboden schlägt. --- Adolf Frohner, Otto Muehl und Hermann Nitsch: Die Blutorgel: Mehrtägige Performance des Jahres 1962 der Wiener Aktionisten, bei der ein totes Lamm ausgeweidet und gekreuzigt wird.

1963

Carolee Schneemann: Eye Body: Schneemanns Performance erforscht das Konzept des Körpers als künstlerisches Medium. --- Der französische Fluxus-Künstler Robert Filliou feiert den Tag seiner eigenen Geburt, den 17. Januar, als Art’s Birthday.

1964

Lil Picard: Bed-Performances.

1965

Günter Brus: Wiener Spaziergang: Körperbezogene ästhetische Grenzüberschreitung.

1965-1966

Rudolf Schwarzkogler: Materialaktionen, Performances für das Medium Fotografie, inszenierte vermeintliche Selbstverletzungen.

1966

Joseph Beuys inszeniert die Kunstaktion Infiltration Homogen für Konzertflügel, der größte Komponist der Gegenwart ist das Contergankind.

1967

14.1.: Michael Bowen führt im Golden Gate Park in San Francisco das Happening Human Be-In durch.

1968

Lil Picard: Construction-Destruction-Construction: Performance in Warhols Underground-Experimentalfilm **** (Four Stars) --- Valie Export: Straßenaktion: Valie Export geht mit einem mit einem Vorhang versehenen offenen Karton vor der nackten Brust durch München. --- 7.6.: Vor rund 300 Zuschauern im Hörsaal 1 des NIG (Neues Institutsgebäude) der Universität Wien führen die Aktionisten Günter Brus, Otto Muehl, Peter Weibel und Oswald Wiener die Aktion Kunst und Revolution durch. --- Jörg Immendorff und Chris Reinecke führen die erste Aktion von LIDL durch, ein neodadaistisches Aktionsprojekt mit politischer Zielrichtung.

1969

Valie Export: Aktionshose Genitalpanik: Performance im Stadtkino München. --- Vito Acconci: Following Piece.

1970

Gilbert & George: The Singing Sculpture: Künstler als lebende Skulpturen, bemalt mit Goldfarbe, posieren mimisch. --- Günter Brus: Zerreißprobe: Letzte Performance von Brus, charakterisiert durch ästhetische Grenzüberschreitung. --- Chris Burden: Shoot: Burden wird während einer Performance von einem Assistenten vorsätzlich angeschossen.

1971

Chris Burden: Five days in a locker: Burden verbringt fünf Tage in einem Schulspind, wodurch er Themen wie Isolation und Begrenzung von Freiheit aufgreift.

1972

Chris Burden: Bed Piece: Burden verbringt 22 Tage auf einem Bett in einer Galerie, was die Themen Langsamkeit und Ausdauer ansprach. --- Jochen Gerz: Rufen bis zur Erschöpfung: Performance, bei der der Künstler sich in einen Kampf mit dem Medium Video verwickelt. --- Vito Acconci: Seedbed

1973

Gina Pane: The Conditioning: Pane liegt auf einem Bett aus Metallfedern über brennenden Kerzen, was die Aufmerksamkeit des Betrachters auf Themen Schmerz und Selbstkontrolle lenkt. --- Laurie Anderson:Duets on Ice: Duette auf Eis in den Straßen von New York, um die Wechselwirkung von Bewegung und Klang zu erforschen. --- Marina Abramovic: Rhythm 10: Performance, in der Abramovic die Verletzung ihres Körpers konzeptuell einbezieht. --- Wojciech Krukowski gründet in Warschau die Akademia Ruchu, eine Gruppe von polnischen Performancekünstlern.

1974

Bruce Nauman: Body Pressure: Performance, bei der Routinen und Gewohnheiten durch Wiederholung zu theatralen Performances werden. --- Laurie Anderson: Dusts on Ice: Freiluftstück, in dem Anderson in Schlittschuhen auf einem schmelzenden Eisblock Geige spielt.

1975

Carolee Schneemann: Interior Scroll: Schneemann führt eine Solo-Performance durch, in der sie ein Stück Papier mit einem Text aus ihrer Vagina herauszieht. --- Marina Abramović geht in der zweistündigen Performance Lips of Thomas in der Galerie Krinzinger in Innsbruck an ihre körperlichen Grenzen, indem sie ihren nackten Körper verletzt.

1976

Ulay und Marina Abramović: Relation in Movement: Das Paar fährt mit einem Auto im Museum herum, während sich eine Skulptur aus dem auslaufenden Treibstoff bildet. --- Ulay und Marina Abramović: Relation in Space: Die Künstler laufen wie zwei Planeten durch den Raum. --- Joan Jonas: Video-Performances: Nutzung des Mediums Video in Dialog mit Performance

1977

Ulay und Marina Abramović: Breathing In/Breathing Out: Beide teilen sich einen Atem, bis sie bewusstlos werden, was Abhängigkeiten in Beziehungen veranschaulicht.

1978

Survival Research Lab: Maschinen-Performances. --- Die Performance-Gruppe Minus Delta t um Mike Hentz, Karel Dudesek, Chrislo Haas und sporadisches Mitglied padeluun tritt erstmals auf.

1979

Boris Groys begründet in einem Aufsatz mit dem Titel Moskauer Romantischer Konzeptualismus (Moskovskij romantičeskij konceptualizm), der in der Zeitschrift A-Ja erscheint, die gleichnamige Kunstströmung.

1980

Der Anachronistische Zug formierte sich 1980 auf Initiative von Thomas Schmitz-Bender und des Arbeiterbundes für den Wiederaufbau der KPD.

1980–1981

Tehching Hsieh: Time Clock Piece: Hsieh führt eine einjährige Performance durch, in der er kontinuierlich eine vorgegebene Aktion zu einer metaphorisch zu deutenden Uhr wiederholt.

1981

Lil Picard: Bed-Performances: Letzte Performance der Bed-Serie. --- Die Hamburger Künstler- und Performancegruppe M.Raskin Stichting Ens wird gegründet.

1984

Marc Kelly Smith: Poetry Slam: Beginn der Poetry Slam-Bewegung in Chicago.

1985

Black Market International: Gründung der internationalen Performancegruppe.

1987

Al Hansen: Gründung der Ultimate Akademie in Köln. --- Via Lewandowsky, Micha Brendel und Else Gabriel: Herz Horn Haut Schrein: „Auto-Perforations-Artistik“ anlässlich der Diplomverteidigung von Brendel, und an der Hochschule für Bildenden Künste Dresden.

1988

Michael Hartmann: Carwalking: Der Aktionskünstler geht in München zum ersten Mal über ein Auto hinweg und etabliert damit eine Protestform.

1990

Art Service Association ASA European: Beginn der Performance-Konferenzen, eingeführt von Boris Nieslony.

1992

Lena Braun: Gründung der Queen-Barbie-Loge für Künstlerinnen. --- In San Francisco findet die erste Critical Mass genannte Aktion statt, um Fahrradmobilität zu unterstützen.

1996

1.5.: Auf dem Schwarzenbergplatz in Wien findet das erste öffentliche Permanent Breakfast mit Friedemann Derschmidt und vier weiteren Künstlern statt.

1997

Marina Abramović: Balkan Baroque: Performance der in Belgrad, ehemals Jugoslawien, geborenen Künstlerin, bei der 47. Biennale di Venezia: Die Künstlerin sitzt in einer Kupferwanne und reinigt Knochen, wozu sie jugoslawische Totenlieder singt.

1998

Wolfgang Müller (Die Tödliche Doris): Gehörlose Musik im Prater der Volksbühne Berlin. --- 27.9.: Hermann Josef Hack entrollt vor dem Kanzlerkandidaten Gerhard Schröder den Arme-Socken-Teppich, der aus den Socken von Arbeitslosen besteht.

2000

1.5.: baltic raw org (BRO) wird ein Zusammenschluss von Künstlern, Dramaturgen, Geisteswissenschaftlern und Architekten in Hamburg, Deutschland gegründet und initiiert verschiedene Kunstaktionen.

2001

Charlie Todd gründet in New York City die Performance-Gruppe Improv Everywhere (Abk.: IE).

2002

Anarchistische GummiZelle (AGZ): Wiederaufnahme der Auftritte. --- Die Gruppe Fondation Kroesus besetzt das leerstehende Cabaret Voltaire in der Spiegelgasse 1, Zürich, als Geburtsort des Dadaismus.

2003

Marina Abramović: The House With the Ocean View: Abramović lebt schweigend und ohne Nahrungsaufnahme für zwölf Tage in einer Installation, womit sie Fragen nach Einsamkeit und Selbstverleugnung aufwirft. --- Der Bühnenkünstler Christoph Schlingensief führt zum ersten Mal das Projekt Church of Fear durch (COF, deutsch: Kirche der Angst): Auf der 50. Biennale in Venedig berichten Terrorgeschädigte von ihren Erfahrungen.

2005

Marina Abramovic: Seven Easy Pieces: Performanceserie im Solomon R. Guggenheim Museum, Wiederholungen wegweisender Performances.

2007

Der Bildhauer, Maler und Aktionskünstler Lubo Kristek entwirft die interaktive Assemblage Requiem für die Mobiltelephone.

2008

Lena Braun: Auferstehung und Einverleibung von Anita Berbers Gespielinnen (Berlin und Wien).

2009

Jonathan Meese: Erzstaat Atlantisis, Arp Museum Bahnhof Rolandseck, Remagen. --- 8.5.: Das Zentrum für Politische Schönheit (ZPS) als Zusammenschluss von über 100 Aktionskünstlern unter der Leitung des Philosophen und Aktionskünstlers Philipp Ruch verübt den Thesen-Anschlag auf den Deutschen Bundestag.

2010

Marina Abramović: The Artist is Present: Stille Performance im Museum of Modern Art (MoMA), New York.

2011

Auf Initiative der Kantone Basel-Stadt und Aargau sowie der Stadt Genf entsteht der Schweizer Performance-Preis

2014

Emma Sulkowicz: Carry That Weight: Sulkowicz trägt während ihres gesamten Abschlussjahres an der Columbia University eine Matratze, um auf ihre Erfahrung mit sexueller Gewalt aufmerksam zu machen und die mangelnde Reaktion der Universität und der Justiz zu kritisieren. --- Der Verein „PANCH – Performance Art Network CH“ wird als Forum Schweizer Aktionskünstler gegründet.

2019

Lastesis: A Rapist in Your Path: Die Gruppe führt eine kollektive Performance durch, um gegen die Verletzung der Rechte von Frauen zu protestieren. Die Performance wurde viral und wurde weltweit von feministischen Bewegungen als Symbol für den Kampf gegen Femizid und sexuelle Gewalt übernommen.

Typen von Happenings und Performances

  • Interaktive Installationen: Das Publikum wird eingeladen, an der Entstehung eines Kunstwerks aktiv teilzunehmen, z. B. durch das Bespritzen mit farbigem Wasser (ähnlich wie in Robert Whitmans „Water“).
  • Nackt-Performance (Vorsicht, nicht im Schulkontext!): Die Teilnehmer treten nackt auf, um soziale Normen zu hinterfragen, wie bei Yayoi Kusamas Happenings in den 1960er Jahren.
  • Öffentliche Raumaktionen: Das Ensemble führt Aktionen im öffentlichen Raum durch, die spontan und unerwartet sind, wie z. B. die Happenings von Provo um die Figur Het Lieverdje in Amsterdam.
  • Interdisziplinäre Aufführungen: Das Ensemble kombiniert Musik, Tanz, Malerei und Lesung, ähnlich wie bei John Cages „Theater Piece No. 1“.
  • Objektinteraktionen: Das Publikum wird eingeladen, mit bestimmten Objekten zu interagieren, wie in Gary Botting’s „The Aeolian Stringer“, bei dem das Publikum in Schnüre verstrickt wurde.
  • Künstlerische Rituale: Schaffung eines rituellen Erlebnisses, bei dem symbolische Handlungen ausgeführt werden, wie in Yves Kleins „Zone de Sensibilité Picturale Immatérielle“, bei dem Gold in der Seine versenkt wurde.
  • Surreale Szenen: Schaffung surrealer und absurder Szenen, ähnlich wie Red Grooms’ „Walking Man“ oder „The Burning Building“.
  • Symbolische Handlungen: Durchführung von symbolträchtigen Handlungen, wie das Begraben eines Fernsehers in Wolf Vostells „TV-Burying“.
  • Massenaktionen: Großveranstaltungen, bei denen viele Teilnehmer involviert sind, wie bei den Happenings der Orange Alternative in Polen.
  • Performance-Lesungen: Kombination von literarischer Lesung und Happening, ähnlich wie die Lesungen beim „International Poetry Incarnation“ in der Albert Hall.
  • Stadtwanderungen: Geführte, aber improvisierte Spaziergänge durch die Stadt, bei denen an verschiedenen Orten spontane Happenings stattfinden, ähnlich wie die zufälligen Spaziergänge von Wim T. Schippers in Amsterdam.
  • Umweltkunst: Kunstaktionen, die die Umwelt einbeziehen, wie das Einbringen von Materialien in die Natur, z.B. das Entleeren einer Flasche Soda ins Meer.
  • Politische Happenings: Happenings, die auf politische Themen aufmerksam machen, wie Jens Galschiøts „Pillar of Shame“.
  • Galerie-Interaktionen: Performances in Kunstgalerien, bei denen das Publikum auf unkonventionelle Weise mit den Kunstwerken interagiert, ähnlich wie in Gary Bottings „Black on Black“.
  • Straßenkunstaktionen: Performances auf der Straße, bei denen Passanten zufällig zu Teilnehmern werden, wie bei vielen frühen Happenings in New York.
  • Symbolische Zerstörungen: Aktionen, bei denen Objekte zerstört werden, um eine Botschaft zu vermitteln, ähnlich wie in Yoko Onos „Cut Piece“.
  • Happenings im Flashmob-Stil: Spontane Kunstaktionen, bei denen eine Gruppe von Menschen unerwartet zusammenkommt, um eine Performance durchzuführen, wie bei den Aktionen des „Order of the Third Bird“.
  • Multimediale Performances: Nutzung verschiedener Medien wie Video, Audio und Projektionen in einer Performance, um eine immersive Erfahrung zu schaffen.

Einfache Happenings oder Performances mit Schülern

Leicht durchzuführende Happenings und Performances könnten sein:

  • Freeze-Mob: An einem öffentlichen Ort bleiben alle Teilnehmer auf ein Signal hin stehen und verharren für einige Minuten in einer Position, bevor sie sich wieder normal bewegen.
  • Körperliche Skulpturen: Die Schüler formen mit ihren Körpern zusammenhängende Skulpturen, die bestimmte Themen oder Konzepte darstellen (z.B. Umweltschutz, Gemeinschaft).
  • Flashmob-Tanz: Ein vorbereiteter Tanz, der plötzlich an einem öffentlichen Ort aufgeführt wird, um die Zuschauer zu überraschen.
  • Interaktive Kunstinstallation: Die Schüler erstellen Kunstwerke, die von Passanten interaktiv verändert oder ergänzt werden können.
  • Kollektive Malaktion: Ein großes gemeinsames Kunstwerk, bei dem alle Schüler gleichzeitig an einer großen Leinwand oder einem Bodenbild arbeiten.
  • Soziale Experimente: Aktionen, die soziale Reaktionen hervorrufen und später im Unterricht analysiert werden, wie z.B. das Verteilen von kostenlosen Umarmungen oder das Aufstellen von ungewöhnlichen Schildern.
  • Umweltperformance: Aktionen, die auf Umweltprobleme aufmerksam machen, wie z.B. das Sammeln und kreative Wiederverwenden von Müll in einer künstlerischen Darbietung.

Bibliographie

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